Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa...
Der Umgang mit NS-Bunkern sorgte in Berlin immer wieder für politischen Zündstoff.
Gedenken muss nicht immer an der Oberfläche stattfinden – manchmal verbirgt es sich auch im Untergrund! An dieser Stelle sollen fünf unterirdische Denkmäler bzw. Mahnmale vorgestellt werden, die im Stadtinneren Berlins an deutsche Geschichte erinnern. Dabei handelt es sich um eine recht heterogene Auswahl: Die Grundfläche des kleinsten Ortes ist mit einer Abstellkammer vergleichbar, die größte wiederum umfasst 900 Quadratmeter. Teilweise handelt es sich um „authentische historische Orte“, die kommentiert oder überformt wurden, teilweise sind es aber auch Stätten, die keinen unmittelbaren räumlichen Bezug zu den ihnen zugrunde liegenden Ereignissen aufweisen. Vier Orte erinnern an den Nationalsozialismus, einer an die DDR. Unser Rundgang fängt im historischen Zentrum Berlins an, auf dem Bebelplatz gegenüber der Humboldt-Universität:
Am 10. Mai 1933 fand auf dem damaligen Opernplatz die öffentliche Bücherverbrennung der Nazis statt. Nationalsozialistische Studenten verbrannten dabei etwa 20 000 Bände, darunter die Werke von Bertolt Brecht, Thomas Mann, Heinrich Heine, Alfred Döblin, Stefan Zweig, Sigmund Freud und Albert Einstein. Die von Goebbels angeordnete Aktion stellte einen frühen Höhepunkt der Gleichschaltung des geistigen Lebens nach der Machtergreifung dar. Den Nazis reichte es nicht, ihre politischen Gegner zu verfolgen und deren institutionelle Strukturen zu zerstören – es musste zugleich auch eine öffentliche Abrechnung mit der verhassten geistigen Elite Deutschlands geben. Damit sollten in aller Deutlichkeit ein neues Zeitalter und ein radikaler Bruch mit den intellektuellen Traditionen des Landes angekündigt werden. Zugleich wollte man auch explizit den Triumph der Tat über den nunmehr machtlosen Geist zelebrieren. Denn was zählten Bücher noch? Man konnte sie ganz einfach auf einen Haufen werfen und verbrennen. Und auf den Straßen herrschte die SA!
Die Bücherverbrennung erhält ihre Bedeutung vor allem durch die Symbolik des Geschehens: Sie zerstörte die kulturelle Blüte mehrerer Jahrzehnte, sie zerstörte das geistige Leben einer ganzen Nation. Am eigentlichen „Tatort“ gab es zu DDR-Zeiten aber nur eine Gedenktafel. Erst 1993, 60 Jahre nach der Bücherverbrennung, lobte die Stadt Berlin einen Künstlerwettbewerb für ein angemessenes Mahnmal aus. Der israelische Bildhauer und Konzeptkünstler Micha Ullman gewann den Wettbewerb und setzte seinen Entwurf 1995 um. Das Werk trägt den Namen „Bibliothek“ und ist auf den ersten Blick gar nicht sichtbar! Es liegt nämlich unter der damaligen Brandstelle auf dem Bebelplatz, in einem ehemaligen Abschnitt des für die Straßenbahn gebauten „Lindentunnels“. Nur kleine, in den Boden eingelassene Bronzetafeln weisen am Rande der Begrenzung auf die „Bibliothek“ hin. Das Mahnmal besteht aus einem hermetisch abgeschlossenen, weiß verputzten Raum, der knapp 50 Quadratmeter groß ist und permanent beleuchtet wird. Er kann von oben durch eine in den Boden eingelassene Glasplatte betrachtet werden. In dieser Bibliothek befinden sich keine Bücher, es stehen nur leere Regale an den Wänden. In ihnen hätten all die Bücher Platz, die die Nazis damals auf dem Bebelplatz verbrannten.
Die Leere dieses „Negativraumes“, wie Ullman sein Werk nennt, kann als Symbol für das intellektuelle Vakuum angesehen werden, das Deutschland nach 1933 charakterisierte. Die Bücher waren verbrannt – zurück blieb eine große geistige Leere. Von der Vertreibung bzw. Ermordung seiner größten Denker hat Deutschland sich bis heute noch nicht erholt. Das Denkmal ist somit ein „Denkmal des Nichts“, es hat kaum greifbare physische Substanz. Nur in der Dunkelheit strahlt der Raum sein weißes Licht nach außen aus und macht so explizit auf sich aufmerksam.
Als problematisch erweist sich bei Ullmans Installation, dass viele Passanten dieses Denkmal tagsüber gar nicht bemerken oder es nicht deuten können. Die Hinweistafeln im Boden sind recht klein und unscheinbar. Somit läuft das Werk Gefahr, in seiner Wirkung zu verpuffen. Zwar wird in diesem Zusammenhang immer wieder – mit Bezug auf den entsprechenden Diskurs der achtziger Jahre – darauf hingewiesen, dass genau dies die Absicht des Künstlers gewesen wäre: Das Denkmal soll irritieren und die Passanten zu Diskussionen anregen! Leider wird diese Wirkung in der Realität oft aber nur zum Teil erzielt (wie es sich vor Ort beobachten lässt). Darüber hinaus ist das Heine-Zitat auf den Tafeln unangemessen: „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Die Bücherverbrennung war kein Vorspiel – die blutige Verfolgung und Ermordung der politischen Gegner der Nazis hatte bereits im Februar 1933 eingesetzt.
Im Jahre 2001 kam es zu heftigen Protesten gegen den Bau einer Tiefgarage unter dem Bebelplatz. Auch Ullman meldete sich dabei entschlossen zu Wort. Zwar sollte das Mahnmal dabei in seiner Substanz nicht zerstört oder verändert, sondern lediglich umbaut werden. Trotzdem war klar, dass es sich hier nicht um einen angemessen Ort für eine profane Tiefgarage handelte. Der Bau der privatwirtschaftlich betriebenen Garage konnte aber nicht verhindert werden. Wenn die Tiefgarage auch auf den ersten Blick nicht erkennbar ist (man sieht nur an den Seiten die Zugänge der Treppenhäuser), so drängt sich die Frage auf, ob man sie nicht anderswo hätte errichten können.
Einen Kilometer vom Bebelplatz entfernt, südlich des Brandenburger Tores, befindet sich das im Mai 2005 eröffnete Holocaust-Mahnmal. Während Ullmans Werk sich auf die Anfänge des NS-Terrors bezieht, thematisiert das Holocaust-Mahnmal ihn in seiner letzten Konsequenz: dem systematischen, fabrikmäßig ausgeführten Völkermord. Die Stätte geht auf einen 1988 von der Publizistin Lea Rosh gegründeten Förderkreis zurück. 1994 wurde ein erster Wettbewerb zur Gestaltung eines Mahnmals ausgeschrieben. Helmut Kohl war jedoch mit dem prämierten Entwurf von Christine Jackob-Marks nicht einverstanden. Nach längeren Diskussionen gab es 1997 einen zweiten Wettbewerb. Das „Stelenfeld“ von Peter Eisenman und Richard Serra wurde dann ausgewählt, musste aber mehrfach modifiziert werden – was wiederum dazu führte, dass Serra ausstieg. Schließlich wurde der Entwurf vom Bundestag bestätigt. Durch die anhaltenden Debatten über Gestaltung, Lage und Kosten des Mahnmals konnte erst 2003 mit dem Bau angefangen werden. Als Standort hatte man ein Grundstück zwischen dem Tiergarten und der Wilhelmstraße ausgewählt, die bis 1945 das politische Machtzentrum Deutschlands war. Lea Rosh hatte sich dafür eingesetzt, dass man das Mahnmal direkt auf die Reste eines sich in der Nähe befindenden NS-Bunkers bauen sollte. Mit diesem Vorschlag konnte sie sich aber nicht durchsetzen.
Das Mahnmal besteht an der Oberfläche aus 2700 Betonstelen mit unterschiedlichen Höhen bis zu viereinhalb Metern. Sie erstrecken sich über eine Fläche von knapp 20 000 Quadratmetern. Von Anfang an wurde die Monumentalität dieses Entwurfes kritisiert, die von vielen Kritikern als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde. Eisenman hat im Laufe der Zeit verschiedene Erklärungen für seinen Entwurf abgegeben: Die Stelen sollen wie Wellen im Meer wirken; oder sie sollen wogende Getreidefelder darstellen. Vom ursprünglichen Modell der Stelen, das Eisenman zusammen mit Serra entwickelt hatte, sind diese Deutungen weit entfernt: Damals war noch von einer „Zone der Instabilität“ und einer „Zerstörung der Illusion von Sicherheit“ die Rede. Auf jeden Fall wurde bereits während der Planungsphase bemängelt, dass das Stelenfeld nicht nur zu groß, sondern auch zu abstrakt wäre. Es würden eindeutige Formen und Schriftzeichen fehlen. Besucher ohne Vorkenntnisse könnten sich fragen: „Was soll das denn bitte sein?“
Um die Aussage zu konkretisieren, wurde dem Denkmal ein von Dagmar von Wilcken konzipierter „Ort der Information“ untergeschoben (im wahrsten Sinne des Wortes). Dieser Entwurf hatte den Vorteil, dass Eisenmans Gestaltung der Oberfläche dafür nicht mehr verändert werden musste. Trotzdem zeigte sich Eisenman nicht gerade begeistert. Aber der Bundestag sprach sich für diese Kombination aus. In den unterirdischen Ausstellungsräumen hat Dagmar von Wilcken die Formensprache und den Symbolgehalt der Oberfläche fortgesetzt: In der Decke und auf dem Boden wird das Raster des Stelenfeldes zitiert, teilweise ragen Quader wie Verlängerungen der Stelen in die Räume hinein. So gehen die beiden Komponenten des Mahnmals ineinander über, ein offener Bruch in der Gestaltung wird damit vermieden.
Der „Ort der Information“ besteht aus einem Foyer, vier Ausstellungsräumen, einem Buchladen und zwei Vortragsräumen. Die Besucher sehen am Eingang zu den Ausstellungsräumen zuerst sechs überlebensgroße Photos einzelner Holocaust-Opfer. Danach betreten sie den dunklen „Raum der Dimensionen“. Dort sieht man im Boden unter Glasflächen schriftliche Zeugnisse der verschleppten Juden: Briefe, Tagebucheinträge, Postkarten und Aufzeichnungen. Zugleich kann man an den Wänden die Anzahl der Ermordeten aus den verschiedenen Ländern des NS-Herrschaftsbereiches ablesen. Im folgenden „Raum der Familien“ werden 15 Schicksale einzelner Familien dokumentiert. Die Namen von 800 Opfern werden dann im „Raum der Namen“ an die Wände projeziert, zugleich sind ihre Lebensläufe zu hören. Schließlich stellt der „Raum der Orte“ 200 Stätten der NS-Menschenvernichtung exemplarisch dar. Ein Gedenkstättenportal weist am Ende des Rundganges auf andere Orte der Erinnerung für NS-Opfer in Europa hin und ermöglicht einen Zugriff auf die Datenbank der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Dagmar von Wilcken betonte, dass nur die Personalisierung der Opfer ihre Anonymität aufheben könnte. Auch wenn solch eine – zwangsläufig emotionalisierende – Form der Darstellung von etablierten Historikern mitunter angegriffen wird, lässt sich auf diese Art und Weise eine sehr eindringliche Wirkung erzielen. Denn der Genozid kann schnell in Zahlen und Fakten untergehen und sich in ein „historisches Ereignis“ verwandeln. Eine individualisierte Vorgehensweise hingegen ist anschaulicher. In der Verflechtung der geschichtlichen Darstellung mit einzelnen Schicksalen entsteht dabei ein nachhaltiges Bild jener Vorgänge, die für viele Menschen nicht nachvollziehbar sind. Die Abgeschiedenheit des unterirdischen Ortes verleiht den Ausstellungsräumen dabei etwas meditatives bzw. sakrales. Der Besucher befindet sich zwar mitten in Berlin, wird zugleich aber von der aggressiven Urbanität des Stadtzentrums abgeschirmt. In den schwach beleuchteten Räumen drängt sich der Gedanke an unterirdische Heiligtümer oder die Krypten von Kirchen auf. Der „Raum der Namen“ knüpft mit seiner Benennung der Opfer an den mittelalterlichen Totenkult, der „Memoria“, an: Menschen, deren Namen man noch ausspricht, sind nicht ganz und gar ausgelöscht worden. Die Erinnerung besteht fort …
Vielleicht war es somit ein Glücksfall, dass die Ausstellungsräume erst „nachträglich“ unter Eisenmans Stelenfeld gesetzt wurden. Unter der Erde wirken sie eindringlicher als an der Oberfläche. Wenn das Stelenfeld auf absehbare Zeit wohl umstritten bleiben wird, so ist der „Ort der Information“ sicher ein angemessener, erfolgreicher Entwurf.
Weiter zum Reichstag. Hier befinden sich zwei interessante unterirdische Orte des Gedenkens: Im Untergeschoss des Osteinganges hat der französische Künstler Christian Boltanski 1999 im Rahmen des „Kunst am Bau“-Projektes ein „Archiv der Deutschen Abgeordneten“ eingerichtet. Es besteht aus 5000 Metallkästen, die in zwei länglichen, bis zur Decke gehenden Blöcken angeordnet sind. Man kann zwischen ihnen durchgehen. Kohlefadenlampen strahlen in dem schmalen, etwa zehn Meter langen Gang ein fahles, unwirkliches Licht aus. Die Kästen tragen die Namen der 5000 von 1919 bis 1999 in den Reichstag gewählten Abgeordneten. Die einzelnen Kästen der von den Nazis ermordeten Abgeordneten sind dabei mit schwarzen Streifen markiert. Und eine schwarze Box weist auf die Jahre 1933 bis 1945 hin, in denen es in Deutschland kein demokratisch gewähltes Parlament gab.
Boltanskis „Kellerarchiv“ lässt sich als ein Gedächtnis der Demokratie im Reichstag verstehen. Mit Bezug auf seine unterirdische Lage drängt sich dabei auch der Begriff des Unterbewusstseins auf. Andere mögen die Kästen der Abgeordneten vielleicht als ein symbolisches, demokratisches Fundament des Bundestages ansehen. Auf jeden Fall wird der Betrachter hier an die eigentliche Funktion des Gebäudes erinnert – eine Funktion, die nach 1933 verloren ging. Der Reichstag beherbergte kein gewähltes Parlament mehr, wurde im Krieg schwer beschädigt und stand schließlich, seiner politischen Funktion weitgehend entblößt, direkt an der Berliner Mauer. Für viele Menschen hatte er sich in ein Symbol der Abgründe deutscher Geschichte verwandelt. Erst durch die Rückkehr des Parlaments im Jahre 1999 erhielt der Reichstag wieder seine ursprünglichen Bedeutung als Standort der Volksvertretung zurück. Wenn die 5000 Kästen in ihrer Gleichförmigkeit und geometrischen Ordnung eine parlamentarische Kontinuität suggerieren, so durchbricht Boltanski sie zugleich mit den Verweisen auf den Nationalsozialismus und seine Opfer. Das ist nicht nur eine historische Aussage, es kann auch als Verweis auf die Zerbrechlichkeit von Demokratien angesehen werden. Die „offene Gesellschaft“ ist nicht immer selbstverständlich! Bleibt in diesem Zusammenhang vielleicht noch hinzuzufügen, dass ein Mitarbeiter des Bundestages dem Verfasser berichtete, dass die Schilder auf den Kästen der KPD-Abgeordneten immer wieder abgerissen wurden!
Nicht weit entfernt von Boltanskis Werk befindet sich in einer Unterführung des Reichstages ein historisches Relikt, das an das Ende der ersten deutschen Demokratie erinnert: Am Abend des 27. Februars 1933 brannte es im Reichstag. Der Plenarsaal wurde dabei zum großen Teil zerstört. Ein niederländischer Kommunist namens Marinus van der Lubbe wurde als angeblicher Brandstifter verhaftet, durch ein nachträglich erlassenes Gesetz zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vier weitere Angeklagte sprach man frei. Die Umstände des Brandes konnten bis jetzt immer noch nicht geklärt werden. Wahrscheinlich wird man nie genau wissen, was damals in dem Gebäude passierte. Aber die meisten Historiker sind sich zumindest einig, dass der Prozess gegen van der Lubbe eine Farce war und der Brand mit großer Wahrscheinlichkeit von den Nazis gelegt wurde. Denn bereits am nächsten Tag präsentierten sie die „Reichstagsbrandverordnung“, die alle Grundrechte praktisch außer Kraft setzte und die anschließende Verfolgung politischer Gegner legitimierte – als hätten die Nazis dieses Gesetz bereits „in der Schublade“ gehabt.
Von großer Relevanz ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie die Brandstifter (es gab anscheinend mehrere Täter) überhaupt in den Reichstag gelangt sind. Schließlich handelte es sich um ein Gebäude, das abends bewacht bzw. verriegelt wurde. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Brandstifter durch den „Reichstagstunnel“ kamen. Dieser schmale Heizungskanal hatte eine Länge von etwa 75 Metern und verband das Gebäude mit dem benachbarten Palais des Reichstagspräsidenten. Im August 1932 wurde Hermann Göring zum Präsidenten des Reichstages gewählt und war somit dort der „Hausherr“. Er hätte den Brandstiftern durch den Tunnel heimlich Zugang zum Reichstag verschaffen können. Auch die Flucht aus dem brennenden Gebäude wäre so unbemerkt möglich gewesen.
Zu DDR-Zeiten wurde der Tunnel vergittert. Der Reichstag lag nämlich im britischen Sektor, während das Palais sich im sowjetischen Bereich befand. Nach dem Bau der Mauer hätte man also durch den Tunnel in den Westen flüchten können. Beim Umbau und der Renovierung in den neunziger Jahren wurde der Reichstag durch ein unterirdisches Wegesystem mit den umliegenden Neubauten verbunden. Der alte Reichstagstunnel lag dabei im Wege und wurde abgerissen – bis auf einen etwa zweieinhalb Meter langen Abschnitt, den man heraussägte. Dieses Teilstück steht jetzt in der unterirdischen Passage, die vom Reichstag zum ehemaligen Palais (heutzutage Teil des Jakob-Kaiser-Hauses) führt. Zusammen mit Boltanskis Archiv kann er bei öffentlichen Führungen durch die Bundestagsgebäude besichtigt werden.
Zwei Kilometer nördlich des Reichstages liegt die Bernauer Straße. Hier verlief die Berliner Mauer direkt die Straße entlang. Die Häuser an der südlichen Seite lagen im sowjetischen Sektor, der Bürgersteig davor befand sich im Westen. Durch einen waghalsigen Sprung aus dem Fenster konnte man dem SED-Regime also noch entkommen. Westliche Medien berichteten ausführlich über diese gefährlichen Fluchtversuche. Die Häuser wurden dann von den Grenztruppen geräumt, verschlossen und schließlich bis auf Teile der vorderen Mauern abgerissen. Später entfernte man auch diese Reste.
Die Bernauer Straße sollte aber trotzdem noch mehrere Male in die Schlagzeilen geraten. Dafür gab es folgenden Grund: Die rudimentären Hindernisse, aus denen die Mauer anfangs bestand, wurden immer weiter ausgebaut und perfektioniert. Stacheldrahtverhaue verwandelten sich so in gestaffelte, mehrfach gesicherte Zonen, die kaum noch zu überwinden waren … zumindest nicht an der Oberfläche! Nach dem Bau der Mauer flüchteten viele Menschen zunächst durch die Kanalisation, die dann aber auch versperrt wurde. Somit blieb nur noch die Möglichkeit, Tunnel zu graben. Das Umfeld der Bernauer Straße eignete sich für solche Vorhaben gut, man hatte auf dem leicht erhöhten Terrain weniger Probleme mit dem Grundwasser. Nach mehreren spektakulären Tunnelfluchten gab es jedoch, u.a. bedingt durch den Tod eines DDR-Grenzers, größere diplomatische Komplikationen. Der West-Berliner Senat entzog den Fluchthelfern deswegen die Unterstützung, die er ihnen zuvor heimlich gewährt hatte. In die Bernauer Straße kehrte Ruhe ein – aber eine Abnormität gab es noch: die inmitten des Todesstreifens liegende Versöhnungskirche. Ihre Gemeinde befand sich größtenteils im Westen Berlins und konnte die Kirche seit dem Mauerbau nicht mehr betreten. 1985 wurde das Bauwerk, das den DDR-Grenzern im Wege stand, schließlich gesprengt.
Nach der Wende errichteten Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth an der Stelle der alten Versöhnungskirche einen neuen Sakralbau aus Stampflehm. Wenn man diese ungewöhnliche Kirche betritt, findet man am Altar auf dem Boden eine Glasplatte, die Einblick in den Untergrund gewährt. Der Besucher muss hier erst eine Zeit lang schauen, muss lesen bzw. fragen, bis er versteht, was dort zu sehen ist: Durch die Glasplatte kann man einen beim Bau der neuen Kirche freigelegten Abschnitt des Kellers der alten Versöhnungskirche erkennen. Ein paar Stufen sind dort sichtbar, und die verrostete Angel einer Tür. Und die Hohlblocksteine, mit denen 1961 der Eingang des Kellers vermauert wurde. Denn die Grenzer befürchteten, dass potentielle „Republikflüchtlinge“ sich in diesen Räumen verstecken und von dort aus in den Westen gelangen könnten.
Der vermauerte Keller unter der Glasplatte gehörte zum „verbotenen Untergrund“ der DDR. Der tyrannische Staat, dem die Menschen davonliefen, wollte ihre Flucht mit aller Gewalt verhinden. Das galt natürlich auch für den Untergrund: die gesperrten „Geisterbahnhöfe“ der Berliner S- und U-Bahn, der verschlossene „Mäusetunnel“ zwischen der U 2 und der U 6 im Bahnhof Stadtmitte, der blockierte Reichstagstunnel, die vergitterte Kanalisation, die nicht mehr zugänglichen Keller der Häuser im grenznahen Bereich sowie die abgeriegelten Bergwerksstollen an der deutsch-deutschen Grenze. Diese stringente, zugleich aber auch bizarr anmutende Logik kann man jetzt noch durch die Glasplatte im Boden der Versöhnungskirche erblicken. Am anderen Ende des Kellerabschnittes liegt übrigens auf dem Boden eine entschärfte Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die man bei den Bauarbeiten fand …
Hier endet unser Rundgang durch die unterirdischen Orte des Gedenkens in Berlin. Natürlich gibt es in der Stadt noch zahlreiche andere bedeutende Stätten dieser Art – so zum Beispiel die unterirdischen Bereiche des Jüdischen Museums, die „Topographie des Terrors“ oder die ehemaligen Haftkeller der Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Entsprechende Hinweise sind im Stadtplan des unterirdischen Berlins auf dieser Website zu finden.
Copyright Niko Rollmann