Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa...
Der Umgang mit NS-Bunkern sorgte in Berlin immer wieder für politischen Zündstoff.
Anfang Mai fand in Bonn die zweitägige Konferenz „Zukunftsprojekt Westwall: Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage“ statt. Die Veranstaltung sollte die vielschichtige historische Realität dieses von den Nazis erbauten Festungsgürtels im Westen Deutschlands ergründen, die Problematik der gegenwärtigen Verklärung der Bauwerke aufzeigen und nach angemessenen Formen des Gedenkens suchen.
Die Notwendigkeit solch einer Konferenz liegt darin begründet, dass seit einigen Jahren ein verstärktes öffentliches Interesse am Westwall erkennbar ist. Diverse Initiativen haben entsprechende Museen eingerichtet oder bieten Führungen an. Dabei erschließt sich auch ein bedeutendes touristisches Potential. Zugleich wird diese Entwicklung aber von bedenklichen Tendenzen begleitet – wie zum Beispiel der unkritischen Wiedergabe der NS-Propaganda, die die Errichtung des Westwalls begleitete. Oder die eindimensionale, militärtechnische ausgerichtete Darstellung der Anlage als „Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst“. Aus diesen Gründen hielt der Veranstalter, die Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis e.V. (GIP), es für notwendig, den Stand der Forschung darzulegen, Mythos und Realität voneinander zu trennen, Bedeutungsebenen auszuloten und nach tragfähigen Konzepten für die Erschließung des Westwalls zu suchen.
Insgesamt waren etwa 120 Personen auf der Konferenz anwesend. Elf Referate mit anschließenden Diskussionen und Kurzbefragungen sowie ein Plenum am Ende füllten das Programm aus. Die Beiträge zeichneten sich durch große Kompetenz und eine hohe Dichte an Informationen aus. Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, jedes einzelne Referat zu besprechen. Stattdessen hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte, Ergebnisse und Fragestellungen:
*Die reale militärische Bedeutung des Weltwalls war begrenzt, die Anlage war von Anfang an ein militärischer Anachronismus und zudem unzulänglich ausgebaut. Der 630 Kilometer lange, etwa 20 000 einzelne Bauten umfassende Festungsgürtel diente vor allem propagandistischen Zwecken. Er sollte die neue Macht des Dritten Reiches und die angeblich defensive Ausrichtung der NS-Politik darstellen. Heutzutage sind noch etwa drei Prozent der Westwall-Bauwerke erhalten.
*Der Westwall trägt viele Kennzeichen der auf Unterdrückung, Militarismus, Zwangsarbeit, Manipulation und Mythologisierung basierenden Politik des NS-Regimes. So wurde sein Bau zum Beispiel von der Zerstörung zahlreicher Wohnhäuser und der zwangsweisen Umsiedlung ihrer Bewohner begleitet. Aus diesen Gründen kann er nicht wie „normale“ historische Architektur behandelt werden, er ist nicht „irgendeine Festung“.
*Die Architektur und die historischen Hintergründe des Westwalls sind noch lange nicht erschöpfend erforscht worden. Eine solide, digital gestützte wissenschaftliche Basis ist aber unentbehrlich für die Erstellung tragbarer, langfristiger Nutzungskonzepte.
*In der Nachkriegszeit wurden die Leitmotive der den Westwall begleitenden NS-Propaganda „revitalisiert“ – so zum Beispiel in Publikationen, die die militärtechnischen Superlative der Anlage in einer „enthistorisierenden“ Weise hervorhoben und ihren Bau als eine Art Notwehr gegenüber aggressiven Nachbarländern charakterisierten. Auch heutzutage tauchen derartige Leitmotive mitunter noch in der Westwall-Literatur auf.
*Die gegenwärtigen Museen und Ausstellungen zeigen vor allem militärische Exponate wie Geschütze, Gewehre, Granaten und Ausrüstungsgegenstände. Diese Objekte mögen die Besucher vielleicht beeindrucken – ihre historische Aussagekraft ist aber begrenzt, sie „sprechen nicht für sich“ und sagen kaum etwas über den historischen Kontext aus. Es besteht die Befürchtung, dass Teile des Westwalls in ein „dunkles Disneyland“ verwandelt werden könnten, in dem die realen Merkmale des Krieges – Tod, Verwesung, Zerstörung und Dreck – ausgeblendet werden.
*Die unprofessionelle Arbeit mancher privater Westwall-Initiativen sollte hinsichtlich ihrer möglichen politischen Folgen nicht unterschätzt werden. Die enthistorisierte, aus dem Kontext gelöste Darstellung des Westwalls kann sehr schnell in eine militaristische, die vermeintlichen technischen Leistungen des Nationalsozialismus heroisierende Faszination abgleiten.
*Zugleich sollte aber nicht der Fehler gemacht werden, diese Initiativen grundsätzlich zu verdammen. Ihre Mitglieder zeichnen sich oft durch ein großes Engagement aus und schrecken auch vor körperlicher Arbeit und finanziellen Opfern nicht zurück. Sie sind mit ihrer Arbeit oft in ein Vakuum gestoßen, das durch das vorherige Desinteresse staatlichen und sonstiger Institutionen entstanden war.
*Die großen NS-Festungsbauten zeichnen sich durch ein archaisches, wuchtiges und morbides Erscheinungsbild aus, das viele Besucher fasziniert. Das Referat Hermann-Josef Berks über die psychologische Komponente, die der von Bunkern ausgehenden Faszination zugrunde liegt, war in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Es drängt sich folgende Frage auf: Kann im Schatten dieser Bauwerke überhaupt eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stattfinden?
*Insgesamt wäre ein einheitliches, regional übergreifendes Konzept für den Umgang mit dem Westwall wünschenswert. Es ist aber fraglich, ob die verschiedenen museumspädagogischen, denkmalpflegerischen, ökologischen und touristischen Ansätze miteinander vereinbart werden können.
*Es bleibt die Frage, wie nach dieser Konferenz weiter verfahren werden soll. Mehrfach wurde der Wunsch nach einer aktiven Vernetzung und weiterer Kooperation der Teilnehmer vorgetragen – auch vielleicht zur Entwicklung eines Standards, der den örtlichen Initiativen als Leitfaden dienen und der Öffentlichkeit Defizite aufzeigen könnte. Hier ist zielgerichtete, kontinuierliche Arbeit erforderlich, die über die übliche Nachbereitung derartiger Tagungen hinaus greifen sollte.
Mai 2007