Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa...
Der Umgang mit NS-Bunkern sorgte in Berlin immer wieder für politischen Zündstoff.
Zwei Zeitzeugen berichten vom Aufenthalt in den Hauskellern während der Bombardierung Berlins
Inhalt:
1. Einführung
2. Umstände bzw. Rahmenbedingungen
3. Anzahl, Dauer und Kontinuität der Aufenthalte
4. Eindrücke während der Angriffe
5. Angstgefühle und Verhalten der Insassen
6. Der Keller als politischer Mikrokosmos
7. Aufenthalt während der Kämpfe in Berlin 1945
8. Psychische Folgeschäden
9. Sonstiges
10. Nachwort
11. Danksagung
1.1. Vorwort:
Im Zusammenhang mit den Bombenangriffen, denen Berlin während des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war, wird immer wieder von den Luftschutzbunkern berichtet, in denen die Bevölkerung Schutz suchte. Die noch vorhandenen Bauwerke dieser Art erregen aufgrund ihrer wuchtigen Größe viel Aufsehen und tauchen immer wieder in den Medien auf – oft in unseriösen, sensationslüsternen Horror-Reportagen („Bunker des Schreckens“). Die häufig gestellte, plakative Frage „Was geschah damals wirklich?“ soll diesen Artikeln eine nicht vorhandene Authentizität verleihen. Mit der Realität des Bombenkrieges hat diese Form der Berichterstattung nur wenig zu tun. Denn für das Gros der Bevölkerung gab es keine Luftschutzbunker! In Berlin konnten während des Krieges noch nicht einmal 10 Prozent der Menschen Schutz in diesen Bauwerken finden. Die Fixierung auf die Luftschutzbunker führt letztendlich zu einer verzerrten Wahrnehmung der historischen Realität.
Für die meisten Berliner waren nicht die Bunker, sondern die Keller ihrer Wohnhäuser der Zufluchtsort während der Bombenangriffe. Die Räume wurden für diesen Zweck baulich verstärkt und entsprechend ausgerüstet. Wirklich schützen konnten sie ihre Insassen nicht und bei schweren Bombentreffern verwandelten sie sich schnell in Todesfallen: Man konnte zerquetscht werden, ersticken, an einer Gasvergiftung sterben, verbrennen oder ertrinken. Die Sicherheit im Hauskeller war trügerisch und die Insassen wussten das meistens auch.
Um ein anschauliches Bild der Verhältnisse in den Hauskellern zu gewinnen, hat der Verfasser zwei Zeitzeugen befragt, die während des Krieges zahllose Nächte in Berliner Hauskellern verbrachten. Frau Liselotte Kubitza und Herr Gerhard Rietdorff, vermittelt von der ZeitZeugenbörse e.V., beantworteten offen, geduldig und ausführlich alle Fragen, die ihnen im Rahmen dieses Projektes gestellt wurden.
1.2. Historischer Hintergrund:
Die ersten Bombenangriffe auf Berlin erfolgten im August 1940, die letzten im Mai 1945. Es ist nicht möglich, die Anzahl der Angriffe genau zu beziffern, es werden annäherungsweise 350 gewesen sein. Manchmal flogen dabei nur einzelne Maschinen Störangriffe, während zu anderen Zeiten riesige Verbände mit 1000 oder mehr viermotorigen Bombern ganze Stadtteile in Schutt und Asche legten. Insgesamt wurden rund 50 000 Tonnen Bomben auf Berlin abgeworfen. Dabei starben etwa 20 000 Menschen. Die Mehrzahl der Angriffe wurde nachts durch das Bomber Command der britischen Luftwaffe durchgeführt. Mit diesen Bombardierungen sollte einerseits die Kriegsmoral der Bevölkerung geschwächt, andererseits die Rüstungsindustrie geschädigt werden. Die „Reichsluftverteidigung“ war nicht in der Lage, diese Angriffe abzuwehren. Der Bombenkrieg, der einst von deutschem Boden ausgegangen war, kehrte nun in seine Heimat zurück.
Die Nazis, die seit ihrer Machtergreifung den Krieg vorbereiteten, bauten in Berlin bereits 1935 erste Luftschutzbunker – allerdings nur für die NS-Elite! Die Bedürfnisse der Bevölkerung wurden als zweitrangig erachtet. Da die Nazis zudem glaubten, dass der „Blitzkrieg“ ihnen einen schnellen Sieg ermöglichen würde, gab es bei Kriegsbeginn nur für einen winzigen Teil der Bevölkerung Luftschutzbunker. Nach den ersten Bombenangriffen 1940 wurde ein Bunkerbauprogramm initiiert, dass die Kapazitäten bis Kriegsende etwa verdoppeln konnte. Das war aber immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein! Auch die später vorgenommene Evakuierung der Kinder und Alten linderte die Not nur begrenzt. Für die meisten Menschen blieben als Schutzräume somit nur die Keller ihrer Wohnhäuser. Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Juden war der Zutritt zu Luftschutzanlagen übrigens grundsätzlich nicht gestattet!
1. 3. Die befragten Zeitzeugen:
Frau Liselotte Kubitza wurde 1933 geboren und lebt im Bezirk Friedrichshain. Den Krieg verbrachte sie bis auf zwei Phasen der Abwesenheit (Oktober 1940 bis Januar 1941 und Sommer 1943 bis Sommer 1944) in Berlin. Während der Luftangriffe suchte sie Schutz im Keller eines Wohnhauses an der Weichselstraße (Friedrichshain). Das Gebäude hat den Krieg überstanden.
Herr Gerhard Rietdorff wurde 1930 geboren und hat immer in Berlin gelebt. Auch er verbrachte die Luftangriffe in den Kellern verschiedener Wohnhäuser der Berliner Innenstadt.
Die Gespräche mit Frau Kubitza und Herrn Rietdorff wurden im April 2005 geführt. Auf der Grundlage der dabei entstandenen Tonband-Aufzeichnungen wurde dieser Text verfasst.
2.1. Alarmsignale vor den Angriffen:
Das durchdringende Jaulen der Luftschutz-Sirenen, die vor anfliegenden Bombern warnten, weckte die Menschen in der Regel auf. Bei Herrn Rietdorff klopfte der „Luftschutzwart“ dann an alle Wohnungstüren, um sicherzustellen, dass jeder Hausbewohner tatsächlich wach war. Frau Kubitza erinnert sich wiederum, dass ihr Luftschutzwart, interessanterweise eine Frau, im Hofe des Hauses immer ohrenbetäubend laut auf eine Bratpfanne schlug!
2.2. Auswahl der Schutzräume:
Frau Kubitza und Herr Rietdorff führen an, dass sie die Keller ihrer Häuser aus zeitlichen Gründen gegenüber den großen Luftschutzbunkern am Alexanderplatz bzw. auf dem Friedrichshain bevorzugten. Wenn man nämlich nicht schnell genug war, konnte man in den Bombenangriff geraten oder riskierte, dass die überfüllten Bunker bereits verschlossen waren. Frau Kubitza fügt hinzu, dass manche Menschen auch in den nahe gelegenen U-Bahnstationen an der Frankfurter Allee Schutz suchten (Anmerkung des Verfassers: Der Aufenthalt in Berliner U-Bahnstationen war sehr riskant, da sie mit ihrer geringen Tiefe vor Bomben nicht wirklich schützten). Aber selbst das hätte zu lange gedauert – ihre Familie musste sich bereits beeilen, um vom vierten Stock aus mit den Kindern schnell genug in den Keller zu gelangen. Für Herrn Rietdorff kam hinzu, dass unter den großen Menschenmassen, die sich im Bunker Alexanderplatz drängten, schnell eine Panik hätte ausbrechen können. Somit begaben sich die meisten Personen in den Häusern der beiden Zeitzeugen in den Keller, Frau Kubitza spricht dabei von der „ganzen Hausgemeinschaft“. Herr Rietdorff erzählt, dass sein Vater und manchmal auch er draußen blieben, um nach dem Haus zu sehen und Brände sofort zu löschen. Zudem machte Herrn Rietdorffs Familie die Entscheidung auch von ihrem Hund abhängig, der über einen sprichwörtlichen „siebten Sinn“ verfügt hätte. Wenn er sich ruhig verhielt, blieb die Familie in der Wohnung!
2.3. Bauliche Merkmale, Einrichtung und Ausstattung der Keller;
Utensilien der Insassen
Die Beschreibungen von Frau Kubitza und Herrn Rietdorff lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Bauliche Merkmale: Mit vertikalen Stützbalken wurden die Decken der Hauskeller verstärkt. Die Wände zu den Nachbarkellern wurden durchbrochen, um Fluchtwege zu schaffen. Die Fenster wurden zugemauert und durch Sandsäcke draußen im Hof zusätzlich gesichert. Unterteilungen bzw. Verschläge wurden entfernt. An den Eingangstüren der Keller wurde nichts verändert (Anmerkung des Verfassers: In einigen Fällen wurden aber Stahltüren eingebaut).
b) Einrichtung und Ausstattung: In den Kellern standen Sessel, Sofas und mitunter sogar Betten, um den Aufenthalt einigermaßen bequem zu gestalten. Der Hausrat, der sich ursprünglich im Keller befand, musste zuvor entfernt werden. Eimer und Schüsseln mit Löschsand bzw. Wasser standen an bestimmten Stellen bereit. Schippen und Hacken waren für die Beseitigung von Trümmern gedacht. Kerzen und Petroleumlampen sollten bei Stromausfällen für Beleuchtung sorgen.
c) Utensilien der Insassen: Die Hausbewohner hatten Decken gegen Funkenflug und manchmal auch Umhängetaschen mit Notrationen dabei. Zudem waren die Insassen mit Gasmasken ausgestattet. Diese hätte man bei Bombentreffern (Frau Kubitza) bzw. bei Gasangriffen (Herr Rietdorff) aufsetzen müssen. Hier Rietdorff weist darauf hin, dass man wusste, dass das Aufsetzen der Gasmasken bei Bränden sehr gefährlich war: Durch die hohen Temperaturen konnte das Gummi nämlich mit der Haut verkleben und schwere Verletzungen verursachen!
2.4. Anzahl der Personen im Keller:
Bei Frau Kubitza befanden sich während der Angriffe mehr als 40 Personen im Keller (Bewohner des Vorderhauses und zweier Seitenflügel), bei Herrn Rietdorff etwa 15 bis 18 (Bewohner des Hausflügels).
3.1. Anzahl der Aufenthalte:
Frau Kubitza und Herr Rietdorff können nicht beziffern, wie viele Male sie im Hauskeller Schutz suchten. Es wäre so oft gewesen, dass man es nicht hätte zählen können. Beide erzählen, dass man zeitweise mehrere Male pro Nacht in den Keller musste. Herr Rietdorff: „Kaum war man oben, ging das wieder los!“ Frau Kubitza ergänzt, dass man, wenn zuvor mehrere Wellen anfliegender Bomberverbände angekündigt wurden, nach den einzelnen Angriffen nicht wieder in die Wohnung ging (die bei Frau Kubitza zudem ja im vierten Stock lag!). Stattdessen blieb man im Keller und wartete auf den nächsten Angriff.
3.2. Dauer der Aufenthalte:
Die Angaben beider Zeitzeugen sind deckungsgleich: Am Anfang des Krieges blieb man ein bis höchstens zwei Stunden im Keller, später waren es vier bis sechs Stunden.
3.3. Kontinuität der einzelnen Aufenthalte:
Beide Zeitzeugen berichten, dass bestimmte Personen während der Angriffe immer wieder den Keller verließen, um zu kontrollieren, ob das Haus bzw. andere Gebäude in der Straße Treffer abbekommen hätten – vor allem dann, wenn es Einschläge in unmittelbarer Nähe gegeben hatte. Bei Frau Kubitza übernahm z.B. ihre Mutter diese Funktion. Herr Rietdorff betont in diesem Zusammenhang, dass schnell reagierende Menschen Brandbomben, die gerade erst in das Gebäude gefallen waren, noch löschen konnten.
In den Kellern war es relativ „schummerig“, wie Frau Kubitza erklärt. Die Glühbirnen brannten nur schwach, da Strom gespart werden sollte (Anmerkung des Verfassers: Möglicherweise sollten sich zudem die Augen durch diese Maßnahme an eine gewisse Dunkelheit gewöhnen. Dies konnte von großer Bedeutung sein, wenn z.B. bei Treffern der Strom ausfiel und der Keller schnell verlassen werden musste).
Aus den Äußerungen beider Zeitzeugen geht hervor, dass man die Angriffe in den Kellern sehr deutlich hören und spüren konnte. Zu hören waren dabei nicht nur das Feuer der Flakgeschütze und die Explosionen der Bomben, sondern auch das Summen der angreifenden Verbände und sogar das Rauschen der Bomben vor dem Aufschlag (!), das Herr Rietdorff noch sehr eindringlich nachahmen kann. Darüber hinaus, so berichtet er, konnte man auch die Vibrationen der sich nähernden Bomben spüren. Detonierten Bomben in einiger Entfernung, wackelte der Keller leicht. Bei Nahtreffern gab es stärkere Erschütterungen, die Stützbalken sowie die Decke schwankten dann und Kalk rieselte herab. In dieser Situation duckten sich die Insassen. Ein Tuch vor dem Mund, so Herr Rietdorff, schützte dann vor dem Einatmen des Staubes. Bei in der Nähe einschlagenden Bomben konnte auch die Luft knapp werden, was die Atmung erschwerte.
5.1. Persönliche Angstgefühle:
Beide Zeitzeugen geben an, dass man damals gewusst hätte, dass die Hauskeller nur begrenzt vor Bomben schützen konnten. Herr Rietdorff sagt dazu, dass die Kellerinsassen bei einem Bombeneinschlag im Hof „zerquetscht“ worden wären. Frau Kubitza wiederum erläutert, dass man hoffte, dass bei einem schweren Treffer die Decke so lange gehalten hätte, bis man durch den Wanddurchbruch in den benachbarten Keller entkommen wäre.
Besonders große Angst hat Frau Kubitza während der Angriffe nicht gehabt. Sie erklärt, dass sie generell während des Krieges nur begrenzt Furcht empfunden hätte: „Wir waren Kriegskinder, wir sind in diese Situation hineingewachsen. Wir haben alles mitgemacht, was man mitmachen musste.“ Außerdem hätte ihr die Anwesenheit ihrer Mutter, die sie als sehr tapfere Person in Erinnerung behält, stets ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Zur spezifischen Situation im Hauskeller sagt sie, dass sie sich dort geborgen gefühlt hätte (im Gegensatz zum 4. Stock, in dem die Familie lebte). Auch die Dunkelheit des nur schwach beleuchteten Kellers hätte sie nicht gestört. Man kannte solche Verhältnisse ja schon von den abgedunkelten Straßen. Auch Herr Rietdorff vermerkt, dass er keine Angst verspürte. Sein Vater, der während der Angriffe immer oben blieb, um auf das Haus aufzupassen und Brände zu löschen, hätte ihn in diesem Zusammenhang wohl beeinflusst.
5.2. Angstgefühle und Verhalten der anderen Insassen:
Hier offenbart sich ein markanter Kontrast zwischen den Erlebnissen der beiden Zeitzeugen: Frau Kubitza berichtet, dass sie in ihrem Hauskeller bei Anderen nie Angst oder gar Panik beobachtet hätte: „Unsere Leute waren sehr couragiert.“ Als Menschen aus der Arbeiterklasse wären alle „hart im nehmen“ gewesen. Sie hat die Insassen als große Familie erlebt, die durch das stundenlange Zusammensein in der Dunkelheit eine „zusammengeschweißte Hausgemeinschaft“ wurde. Man unterhielt sich während der Angriffe und das Gespräch wurde nur dann unterbrochen, wenn es in der Nähe Einschläge gab. Danach ging die Unterhaltung weiter.
Herr Rietdorff wiederum erlebte ganz andere Situationen: Er hat mehrmals gesehen, wie Menschen während der Angriffe die Beherrschung verloren, sich hinschmissen, sich die Haare zerrauften und „Lieber Gott!“ oder „Jetzt ist es zu Ende!“ schrien. Und: „Es sind auch welche auf der Erde rumgekrochen, die den lieben Gott angebetet haben.“ Herr Rietdorff fügt hinzu, dass er damals jeglichen Respekt vor Erwachsenen verloren habe, sie wären danach keine Vorbilder mehr für ihn gewesen. Zudem berichtet er, dass in seinem Hauskeller während der Angriffe niemand geredet hätte. Wegen der Angst wären alle ganz still gewesen: „Man lauschte.“
An der Oberfläche wurden die Hausbewohner vom „Blockwart“ bespitzelt, der die Aufgabe hatte, diejenigen zu denunzieren, die Distanz oder gar Gegnerschaft zum NS-Regime erkennen ließen. Erfüllte der „Luftschutzwart“ in den Hauskellern eine ähnliche Funktion? Oder war er tatsächlich nur für die Sicherheit zuständig? Und wie verhielt es sich überhaupt mit politischen Äußerungen angesichts der Tatsache, dass die schweren Bombenangriffe doch immer deutlicher darauf hinweisen mussten, dass es keinen „Endsieg“ geben würde?
Frau Kubitza erklärt dazu, dass ihre Familie sich aktiv gegen die Nazis engagierte: Ihr Vater und dessen Schwester hatte antifaschistische Flugblätter in Umlauf gebracht, die Schwester wurde deswegen inhaftiert. Aus dieser Grundeinstellung heraus achtete man somit in der Familie immer grundsätzlich darauf, was man wem sagte. Das galt auch gegenüber dem Luftschutzwart.
Herr Rietdorff führt an, dass der Luftschutzwart in seinem Haus wohl keine politische Funktion gehabt hätte, da er völlig inkompetent war und niemand ihn ernst nahm. Darüber hinaus erzählt er von folgender Begebenheit, die ein Angehöriger miterlebte: In einem Hauskeller war einmal ein Marineoffizier anwesend, der während des Bombenangriffs sagte: „Weil die Verbrecher Goebbels und Hitler ihr Leben verlängern wollen, müssen wir hier leiden!“ Daraufhin wurde er von einer als Nationalsozialistin bekannten Frau denunziert. Er wurde aber nicht bestraft, da die anderen Anwesenden später angaben, sie hätten „nichts gehört“. Abschließend sagt Herr Rietdorff dazu, dass die Menschen in der Regel aber nicht auf das NS-Regime, sondern auf die Piloten der angreifenden Flugzeuge schimpften.
Frau Kubitza und Herr Rietdorff waren während der „Schlacht um Berlin“ beide fast durchgehend im Hauskeller. Die Zeiträume, die sie dafür angeben, sind deckungsgleich: drei Wochen (Frau Kubitza) bzw. vom 18. April bis zum 7./8. Mai (Herr Rietdorff). Herr Rietdorff fügt hinzu, dass man aber zwischendurch mal nach der Wohnung sah oder Wasser holen ging.
Bei beiden Zeitzeugen hat der Aufenthalt im Hauskeller auf den ersten Blick keine erkennbaren langfristigen psychischen Störungen hinterlassen. Wie Herr Rietdorff es kurz und knapp formuliert: „Ich hab’ das gut verkraftet.“ Frau Kubitza erinnert sich an nervöse Zuckungen im Halsbereich, die auf den Stress und den durch die Bombenangriffe verursachten Schlafmangel zurückzuführen waren, nach dem Krieg aber schnell verschwanden. Allerdings wertet sie ihre Fähigkeit, sich an viele Details des Krieges genau zu erinnern, als Indiz dafür, dass die Ereignisse bei ihr doch Spuren hinterlassen haben …
Beide Zeitzeugen betonen, dass andere Ereignisse nach den Kämpfen schlimmer gewesen wären als die Nächte in den Kellern. Frau Kubitza verweist dabei z.B. auf den entsetzlichen Anblick zusammengetragener, aufgedunsener sowjetischer Leichen unmittelbar nach Kriegsende und auf das Elend der frühen Nachkriegsjahre: vor allem Hunger, aber auch Kälte, Krankheit und der Mangel an Kleidung. Herr Rietdorff führt in diesem Zusammenhang problematische familiäre Umstände an.
Herr Rietdorff erzählt, dass es noch zwei Jahre lang nach dem Ende des Krieges in Berlin einen Leichengeruch in der Luft gegeben hätte. Dies hing mit den Toten zusammen, die in den Trümmern der zerstörten Häuser verwesten.
Die alliierten Bombenangriffe, die seit ihren zaghaften Anfängen 1940 an Wucht und Treffsicherheit stetig zunahmen, waren ein deutlicher Indikator für den militärischen Niedergang des Dritten Reiches. Ab 1942 gehörten sie phasenweise fast schon zum Alltag in den großen Städten. Die NS-Kriegsführung hatte in ihrer Arroganz auf einen schnellen Sieg hin gerüstet – einem längeren Kräftemessen, wie es dann unter anderem im Luftraum über Deutschland stattfinden sollte, war sie nicht gewachsen. Und die Bevölkerung konnte sie in dieser Situation dann auch nicht vor den Bomben schützen.
Somit mussten sich die Menschen in die unterirdischen Bereiche ihrer Wohnhäuser verkriechen, jene feuchten Keller, die man ursprünglich als Lagerräume angelegt hatte. Die moderne Kriegsmaschinerie zwang die Städter in die unterirdische Sphäre zurück, in der sie zuletzt während des Mittelalters Schutz gesucht hatten – wenn an der Oberfläche marodierende, plündernde Soldaten durch die Straßen zogen. Dabei gab es aber einen gravierenden Unterschied: Die neue Waffentechnik konnte sie „da unten“ schnell treffen und töten! Wenn man heutzutage mit jenen Zeitzeugen spricht, die in den Hauskellern Schutz vor Bomben suchten, so darf man nicht vergessen, dass ihre Berichte nicht die, sondern nur eine historische Perspektive widerspiegeln: Sie haben nämlich überlebt! Andere starben in diesen improvisierten Luftschutzräumen … und konnten danach nichts mehr erzählen.
An dieser Stelle möchte sich der Verfasser noch einmal bei Frau Kubitza und Herrn Rietdorff für die Gespräche bedanken – und natürlich bei der ZeitZeugenbörse e.V., die mir diese Personen freundlicherweise vermittelte!
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