Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa...
Der Umgang mit NS-Bunkern sorgte in Berlin immer wieder für politischen Zündstoff.
In Berlin wird man vielerorts mit den Relikten der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Das Kaiserreich, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und die DDR haben zahlreiche Spuren in der Stadt hinterlassen. Oft gibt es Diskussionen darüber, wie mit diesem historischen Erbe umzugehen ist. Ein besonderes Kapitel stellen dabei die unterirdischen Reste des Nationalsozialismus dar, die alle paar Jahre irgendwo in der Stadt auftauchen und mitunter für eine gewisse Ratlosigkeit sorgen ...
„Der Ort ist all das, was man an ihm sucht, was man von ihm weiß, was man mit ihm verbindet.“
Aleida Assmann, „Der lange Schatten der Vergangenheit“
I Vorwort
Dieser Aufsatz ist einem besonderen Aspekt jener Thematik gewidmet, die seit den achtziger Jahren zumeist mit dem holprigen Begriff der „Vergangenheitsbewältigung“ umschrieben wird. Damit ist die gesellschaftliche, vor allem aber die politische und historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus gemeint. Dieser Prozeß hat zahlreiche Facetten und durchdringt fast alle Bereiche unserer Gesellschaft – weil auch der Nationalsozialismus fast alle Sektoren der Gesellschaft erfaßt hatte. Ein wichtiges Kapitel stellen dabei die physischen Überreste jener Zeit dar, also die Architektur aus der Zeit des Nationalsozialismus, die sich noch in vielen deutschen Städten befindet. Oft sind es alte Luftschutzbunker, aber auch monumentale Bauwerke wie das Berliner Olympia-Stadion oder Festungsanlagen wie die Reste des „Westwalls“. An dieser Architektur entzünden sich immer noch langwierige Diskussionen: Sollen diese Relikte des Nationalsozialismus abgerissen werden oder erhalten bleiben? Und wenn man sie stehen läßt: Sollte man sie dann irgendwie „markieren“ oder mit einer Dokumentation versehen, die den historischen Kontext erläutert?
Diese Diskussionen betreffen in der Regel sichtbare Bauten, die den Bürgern der jeweiligen Städte bzw. Orte wohlbekannt sind. Die entsprechenden Debatten können sich über Jahrzehnte hinziehen und der Entscheidungsprozeß somit eine gewisse Reife erlangen. Mitunter passiert es jedoch auch, daß in Vergessenheit geratene Bauten des Nationalsozialismus plötzlich „entdeckt“ werden. Dabei handelt es sich um an der Oberfläche nicht sichtbare unterirdische NS-Bauwerke – wie zum Beispiel Luftschutzbunker und Tunnel. Diese Bauten werden, z.B. bei Bauarbeiten, Untersuchungen des Bodens oder sonstigen Bewegungen der Erde, entdeckt. Sie sind plötzlich da! Sie sind die sprichwörtliche „Leiche im Keller“, die „verdrängte Vergangenheit“.
Nach der Entdeckung drängt sich schnell die Frage auf, was mit diesen Resten geschehen soll. Die einen wollen sie zerstören, die anderen möchten sie erhalten. Oder einfach wieder zuschütten und – wenn es irgendwie geht – darüber hinweg bauen? Zugleich hat, jenseits der Ebene der Entscheidungsträger, die Öffentlichkeit ein großes Interesse an diesen Bauwerken. So stürzt sich zum Beispiel die Boulevardpresse oft mit großen, markanten Schlagzeilen auf diese Bauten, als wäre der Nationalsozialismus eine mit der Berichterstattung über Serienmörder vergleichbare Gruselshow.
Vor allem in Berlin sind seit den späten sechziger Jahren immer wieder unterirdische Relikte des Nationalsozialismus „aufgetaucht“, manchmal unter bizarren Umständen. Diese Serie erreichte in den neunziger Jahren einen Höhepunkt, als die Stadt gleich mit mehreren „heavyweights“ im ehemaligen Grenzstreifen der Berliner Mauer konfrontiert wurde. Die folgenden Diskussionen und Entscheidungsprozesse zogen sich fast bis ins neue Jahrtausend hinein. Beteiligt waren namhafte Berliner Politiker, Historiker, Denkmalschützer und Archäologen sowie alle bedeutenden Druckmedien vom „Spiegel“ bis zur „Zeit“.
In diesem Text geht es um die Frage, wie die Berliner Öffentlichkeit bzw. Politik mit derartigen unerwarteten unterirdischen Resten des Nationalsozialismus umgegangen ist. Da das Internet bis vor wenigen Jahren im öffentlichen Diskurs noch keine signifikante Rolle spielte und das Thema für das Fernsehen insgesamt „eine Nummer zu klein“ war und deshalb nur marginal behandelt wurde, basiert dieser Aufsatz auf Berichterstattungen der Presse und bedeutenden Dokumenten, die im Zusammenhang mit der Diskussion relevant waren. Insgesamt handelt es sich um etwa 140 Texte (eigene Literatur zur Rezeptionsgeschichte dieser „Funde“ ist übrigens kaum vorhanden). Es soll hier nicht jeder einzelne Artikel über dieses Thema zitiert werden. Statt dessen sollen den Lesern die wichtigsten Argumentationsmuster und Tendenzen der Rezeption dargelegt werden. Sie stellen ein eigenes Kapitel der „Vergangenheitsbewältigung“ dar.
II Erste Berichterstattung
In den späten vierziger und in den fünfziger Jahren tauchten die Bunker des Zweiten Weltkrieges sporadisch in der Presse auf. Dabei handelte es sich jedoch meistens um Luftschutzbunker an der Oberfläche („Kampfbunker“, die für die Verteidigung bestimmter Objekte gegen angreifende Truppen gebaut wurden, finden sich in Berlin nur selten und spielen in diesem Text keine Rolle). Die Artikel berichteten normalerweise von der „Nachnutzung“ der Bunker – in der Regel als Lager oder temporäre Wohnorte für Obdachlose, Flüchtlinge und Vertriebene – oder ihrem Abriß. Historische bzw. politische Bezüge fanden sich in diesen Texten nur marginal. Wie allgemein bekannt, ging es zu jener Zeit um „praktische“ Aspekte der Nachkriegszeit, nicht aber um eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Man war noch „zu nahe dran“ an den Ereignissen des Nationalsozialismus. Angesichts der schweren Kriegszerstörungen, der politischen Turbulenzen des einsetzenden „Kalten Krieges“ und der wirtschaftlichen Notlage jener Zeit kann diese Einstellung übrigens nur begrenzt mit dem Begriff der „Verdrängung“ umschrieben werden.
Seit den späten fünfziger Jahren gab es eine anhaltende Diskussion um die Errichtung eines Mahnmals auf dem ehemaligen „Flakbunker“ (also einem mit Flugabwehrgeschützen bestückten Luftschutzbunker) am Humboldthain im Westen Berlins. Dieses sollte ursprünglich unbekannten politischen Gefangenen gewidmet sein. Zugleich wurden dort auch Mahnfeuer zum Gedenken an den 17.6.1953 entzündet. 1967 wurde dann die Plastik „Wiedervereinigung“ aufgestellt. Daß es nicht einer großen Ironie entbehrte, ausgerechnet auf einem alten NS-Luftschutzbunker solch ein Mahnmal zu errichten, schien den damaligen Verantwortlichen offenbar entgangen zu sein. Die nationalsozialistische Vergangenheit des Ortes spielte in der langen Diskussion auch nur eine begrenzte Rolle.
Historiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Umcodierung“ bestimmter Bauwerke: Aus ideologischen Gründen werden den Anlagen neue Bedeutungen zugeschrieben, die mit ihrer ursprünglichen Funktion bzw. dem historischen Kontext ihrer Errichtung nichts mehr zu tun haben. So konnte eben aus dem NS-Bunker am Humboldthain ein Denkmal für die deutsche Einheit werden. Im Osten Berlins gab es ein vergleichbares Beispiel der Umcodierung: Der Flakbunker am Volkspark Friedrichshain wurde gleich mit mehreren sozialistischen Denkmälern „zugebaut“.
Der unterirdische „Führerbunker“, in dem Adolf Hitler die letzten Wochen seines Lebens verbrachte, tauchte 1959 in der Presse auf, als Abrißversuche an dem Bauwerk vorgenommen wurden. Auf der historischen bzw. politischen Ebene waren diese Artikel aber nicht aussagekräftig. Im folgenden Jahr berichtete wiederum der „Tagesspiegel“ am 06.12. unter dem Titel „Expeditionen unter dem Tiergarten“ über die Suche nach NS-Tunneln (z.B. den Tunneln der nationalsozialistischen Hauptstadtplanung, von denen später noch die Rede sein wird) unter dem innerstädtischen Bezirk. Diese Maßnahmen dienten primär der Verkehrssicherheit, da marode Tunnel die geplante Freigabe der Straße des 17. Juni für den Autoverkehr hätten gefährden können. Fünf Jahre später berichtete der „Tagesspiegel“ am 16.05.1965, daß Bagger bei Bauarbeiten auf Privatgrundstücken oft auf unbekannte Luftschutzbauten stoßen würden. Weitere Details oder Beispiele wurden allerdings nicht angegeben.
III Brisante Funde und sonstige Entdeckungen
In den Jahren 1967 und 1968 gab es in Berlin einen bizarren Fall, in dem die unterirdischen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus eine größere Rolle spielen sollten: Ein wegen Kriegsverbrechen angeklagter Mann, der im Zusammenhang mit dem Bau einer Genickschußanlage vor Gericht stand, behauptete, daß sich in einem ehemaligen Luftschutzstollen im Berliner Fichtenberg Dokumente befänden, die ihn entlasten könnten. Die Anlage wurde daraufhin geöffnet und die anschließende Suche war im wahrsten Sinne des Wortes „brisant“: Die Amerikaner hatten den Stollen nach dem Kriege gesprengt, doch nur ein Teil der Sprengladungen war detoniert. Somit fand man bei der Suche zwar nicht die erwünschten Dokumente, wohl aber Zündschnüre und TNT-Stangen. Bei der Untersuchung kam es im Dezember 1967 zu einem Deckeneinsturz, danach gingen die Arbeiten nur sehr langsam voran.
Diese Suche fand in mehreren Berliner Zeitungen ihren Widerhall. So druckte zum Beispiel der „Abend“ am 20.01.1968 eine fast ganzseitige Reportage mit dem Titel „Die Zündschnüre brennen noch heute“. Sie enthielt vier Photos und eine Karte der Stollen unter dem Fichtenberg. Angesichts der Tatsache, daß die Anlage über 20 Jahre nicht betreten worden war, sah es in den Tunneln recht abenteuerlich aus und der Journalist konnte von allen möglichen verrotteten Gegenständen berichten. Auf die historischen Hintergründe der Luftschutzstollen wurde in dem Text so gut wie gar nicht eingegangen. Insgesamt war der Artikel primär eine „Erlebnis-Reportage“, die mit folgendem Absatz endete: „Noch herrscht keine Klarheit über den ganzen Umfang des Stollensystems. Doch mit jedem Meter, den die Bautrupps vorrükken, gibt der Berg einen Zipfel seines Geheimnisses preis“.
1968 tauchten die bereits erwähnten Tunnel der nationalsozialistischen Hauptstadtplanung am Sowjetischen Ehrenmal im Westberliner Bezirk Tiergarten wieder in der Presse auf. Dabei handelte es sich um drei kurze Tunnel, die mit den zukünftigen Plänen der Nazis für Berlin zu tun hatten. Berlin sollte nach dem erwarteten Sieg der deutschen Truppen in „Germania“, die Hauptstadt des deutsch besetzten Europas, umbenannt werden. Zugleich sollte die Stadt in pompöser, monumentaler Weise neu gebaut werden. Im Rahmen erster Baumaßnahmen für dieses Projekt entstanden die bis zu 200 Meter langen Tunnel am Sowjetischen Ehrenmal.
Den Fachleuten waren diese Anlagen längst bekannt. Das aber hinderte die Medien nicht daran, diese Tunnel „wiederzuentdecken“ (die vermeintlichen Wiederentdeckungen bereits bekannter Anlagen ziehen sich seit Jahrzehnten als roter Faden durch die Berichterstattung die Presse). So war in der „Berliner Morgenpost“ vom 11.07.1968 zu lesen: „Eine sensationelle Entdeckung machten jetzt die Mitarbeiter des Brückenbauamtes: In Berlin gibt es einen unterirdischen „See“. Doch das Gewässer – in fast fünf Meter Tiefe unter der Straße des 17. Juni, in Höhe des sowjetischen Ehrenmals – wird keine Touristenattraktion werden. Es handelt sich um einen überfluteten Straßentunnel, der in den dreißiger Jahren gebaut worden war.“ Von der größenwahnsinnigen „Germania“-Planung war in diesem Text nicht die Rede, statt dessen hieß es vage: „Bei der Prüfung alter Pläne stellten Fachleute fest, daß die Städtebauer beim Bau der Prachtstraßen zum Brandenburger Tor vorsorglich zwei Straßen- und einen U-Bahn-Tunnel angelegt hatten.“
Die „BZ“ wiederum titelte am 20.12.1968: „Keine Geheimnisse um die Tunnel“, was sich auf eine entsprechende Erklärung des Baustadtrats Wurche bezog. In dem Text hieß es u.a. dazu: „Um allen Spekulationen und Geheimniskrämereien vorzubeugen, wollten die Experten die Berliner Journalisten in die „toten“ Tunnel-Enden führen. Dieses Vorhaben scheiterte aus unerklärlichen Gründen am Einspruch der Alliierten.“ Die historischen Hintergründe dieser Tunnel wurden in einigen Sätzen vage skizziert. Zudem war dem Artikel zu entnehmen, daß die Tunnel den Fachleuten lange bekannt gewesen wären.
Das „Spandauer Volksblatt“ betrachtete das Thema in seiner Ausgabe vom 23.07.1969 betont nüchtern und sachlich. Unter der Überschrift „Keine Geheimnisse um Tunnelsysteme“ war zu lesen: „Es gibt in Berlin zwar manch hintergründiges Geheimnis, aber keines im Untergrund. Zwei Straßentunnel und ein weiterer, der für eine Bahn-Schnellverbindung zwischen den Nord- und Südbahnhöfen der Fernbahn projektiert war, im Sperrbereich um das sowjetische Ehrenmal im Berliner Tiergarten werden voraussichtlich bis Anfang November von der Bauverwaltung saniert und bleiben anschließend nur den Befugnissen durch Einstiegmöglichkeiten am jeweiligen Südende zugänglich. Spekulationen über weitverzweigte Tunnelsysteme oder gar eine für die nationalsozialistische Prominenz als letzten Unterschlupf geplante unterirdische Stadt dürften sich damit endgültig als falsch erwiesen haben.“ Darüber hinaus berichtete die Zeitung: „Nach ‚Entdeckung‘ der Tunnel vor rund zweieinhalb Jahren mußte das eingedrungene Oberflächenwasser ausgepumpt werden. Danach entdeckte man vereinzelt Kriegsmaterial: Gewehre, Munition, Soldbücher und andere Papiere von Soldaten. Aus den vereinzelt aufgefundenen Akten ging jedoch nicht hervor, ob sich unterirdisch in den letzten Kriegstagen noch Kämpfe abgespielt haben oder ein Stab untergebracht war.“
Auch die „Süddeutsche Zeitung“ hatte am selben Tag das Stichwort „Geheimnis“ in der Überschrift ihres Artikels: „Geheimnis der Tiergarten-Tunnel gelüftet“. Und auch sie stellte klar, daß es sich bei diesen Anlagen nicht um Fluchtwege ranghoher Nazis oder gar eine unterirdische Stadt handeln würde, die die Nazis hätten anlegen wollen. Der Text endete: „Der Berliner Senat will die Tunnelanlagen nicht nutzen. Wie ein Sprecher der Bauverwaltung ... erklärte, fügen sie sich nicht in die heutige Verkehrsplanung ein. Da die Zugänge sehr eng sind, können sie auch nicht zur wirtschaftlichen Nutzung vermietet werden. Deshalb will der Senat sie zwar unterhalten, aber nur für Experten zugänglich machen.“ Die Tunnel existieren übrigens noch und stehen auch noch leer.
Die Berichterstattung über diese Tunnel sollte im anderen Teil Berlins noch eine ganz eigene Resonanz haben: Die Staatssicherheit wurde von den Artikeln über die unterirdischen Anlagen im grenznahen Bereich aufgeschreckt. Schließlich wäre ja denkbar gewesen, daß manche Tunnel und Bunker sich bis nach Ostberlin hinein erstreckt hätten. Das wiederum hätte es ermöglicht, durch diese Anlagen in den Westen zu flüchten. Deswegen fing man 1969 an, unterirdische Bauwerke an der Grenze zu untersuchen und zu dokumentieren. Diese Erkundungen sollten unter dem Decknamen „UTA“ bis Mitte der siebziger Jahre andauern. Dabei wurden auch die Reste des „Führerbunkers“ untersucht. 1973 fand man in den Bunkeranlagen der von den Nazis erbauten Neuen Reichskanzlei Teile der Tagebücher von Joseph Goebbels, die dann erst einmal in den Archiven der Staatssicherheit verschwanden.
Bemerkenswert ist eine „Spuren aus der Zeit grauenhafter Bombennächte in den Katakomben vergessener U-Bahn-Anlagen“ betitelte Reportage, die am 16.01.1970 in „Die Welt“ erschien. Sie beschreibt eine mit BVG-Mitarbeitern durchgeführte Besichtigung mehrerer U-Bahnanlagen, die während des Krieges für den Luftschutz und andere militärische Zwecke verwendet wurden. Der Artikel fängt folgendermaßen an: „Die wohl abenteuerlichste Exkursion, die man in Berlin unternehmen kann, führt tief in die Unterwelt. Sie führt aber auch weit in die Vergangenheit zurück, in die der Bombennächte und Endkämpfe.“ Der Text beschreibt dann Anlagen, in denen noch Spuren des Krieges sichtbar waren: „Zwischen verbogenen Bettgestellen, zerbrochenen Flaschen, leeren Konservendosen und gespenstischen Rattengerippen werden die letzten Kriegsjahre noch einmal lebendig. Unter einer dicken schwarzen Staubschicht, die alles bedeckt, liegen Stapel von Briefen und zerrissene Ausweise.“ Ein Hauch von Gefahr war auch dabei: „Dann geht es plötzlich drei Stufen hinab. Die Warnung, stehenzubleiben, kommt gerade zurecht: Ein Steinwurf auf den grauen „Fußboden“ zeigt, daß es tiefstes Wasser ist, das von einer dicken Staubschicht bedeckt ist.“
Der Artikel beleuchtet die historischen Hintergründe dieser gruselig wirkenden Bauwerke jedoch nicht. Statt dessen wird im vorletzten Absatz des Artikels noch auf eine ganz andere unheimliche Dimension des Untergrundes verwiesen, nämlich die verwaisten „Geisterbahnhöfe“ unterhalb des Ostberliner Bezirkes Mitte: „Der Fahrgast aber wird weit mehr noch von der Totenstille auf den spärlich beleuchteten sechs Bahnhöfen im Ostsektor bedrückt, die ohne Halt durchfahren werden. Ein im ganzen Tunnel umlaufender weißer Streifen markiert hier unten die Sektorengrenze, und der Kundige weiß, daß gleich dahinter ein Fallgitter eingebaut ist, daß das Brett zwischen den Schienen ein Tretkontakt ist und überall schwerbewaffnete Posten lauern.“ Der Untergrund erscheint hier als Gruselshow zwischen den Relikten des Nationalsozialismus und den unterirdischen Realitäten der Berliner Mauer.
In den folgenden Jahren sollten weitere Reste aus der Zeit des Nationalsozialismus im Untergrund Berlins auftauchen: So wurden im Dezember 1972 bei Ausschachtungsarbeiten auf dem so genannten „ULAP“-Gelände am damaligen Lehrter Bahnhof zwei Skelette gefunden. Anhand mehrerer Merkmale konnte einer der Schädel schließlich Martin Bormann, Hitlers Sekretär, zugeordnet werden. Im folgenden Jahr wurde Bormann dann offiziell für tot erklärt. Damit war endgültig klar, daß Bormann sich nicht, wie oft vermutet, bei Kriegsende ins Ausland abgesetzt hatte. Das andere Skelett stammte von Hitlers letztem Leibarzt, Dr. Ludwig Stumpfegger. Beide Männer hatten sich mit Zyankali das Leben genommen.
1978 wurden in der Spandauer Zitadelle bei der Restaurierung eines Brunnens Reste der früheren Nervengasproduktion während des Nationalsozialismus gefunden – darunter mehrere hundert Kampstoff-Behälter. Weitere derartige Funde folgten in den nächsten Jahren. Dies sollte schließlich eine intensive Dekontaminierung zur Folge haben, die sich bis 1992 hinzog. Die Presse begleitete diese Vorgänge mit zahlreichen, oft sensationslüsternen Artikeln. So überschrieb die „Bild“-Zeitung einen entsprechenden Artikel am 25.10.1978 mit „Alarm! Giftgas in der Zitadelle entdeckt“. Und das „Spandauer Volksblatt“ fragte am 01.07.1980 in einer großen Schlagzeile: „Tödliche Kampfstoffe in einem Tunnelsystem unter der Havel?“
1983 fand man auf dem Areal der amerikanischen McNair-Kaserne in Lichterfelde einen großen unterirdischen Luftschutzbunker, der während des Krieges von AEG-Telefunken für die Produktion von Funkgeräten verwendet wurde. Der Presse war das nur kürzere Meldungen wert. Im selben Jahr machten alte Luftschutzräume in Kreuzberg Schlagzeilen: Unter der Kindertagesstätte an der Methfesselstraße 14 wurde solch eine Anlage entdeckt. Offenbar hatte man die Kita 1955 direkt auf diese Räumlichkeiten gesetzt. Die Presse sprach von einem möglichen Bunkersystem und zitierte Anwohner, die von miteinander verbundenen Tunneln unterhalb des Kreuzberges berichteten, die sogar zum Flughafen Tempelhof führen sollten. Besorgnis erregte dabei die Möglichkeit, daß sich in den Stollen noch alte Munition befinden könnte. Die „Berliner Morgenpost“ fragte am 12.11. in einer Schlagzeile: „Munitions-Lager unter Kreuzberger Kinderhort?“ Und „Die Welt“ fragte am 01.12. in einer Überschrift: „Ließ Hitler sich einen Fluchtweg bauen?“ Darunter hieß es: „Tunnelsystem in Berlin weist auf Verbindung zwischen Führerbunker und Flughafen hin“. In dem Text wurden vermeintliche Hinweise aus der Bevölkerung zitiert.
Die Erkundungen unter der Kindertagesstätte sowie Grabungen im Umfeld beförderten dann mehrere Tonnen Munition, Bomben, Panzerfäuste und andere Waffen sowie verrottetes Fleisch ans Tageslicht, das aus einem bei Kriegsende zerstörten Kühlhaus an der Trebbiner Straße stammen sollte. Im April des folgenden Jahres wurde ein weiterer Luftschutzstollen unterhalb des kleinen Wasserfalls im Viktoriapark gefunden. Die Geschichte des Tunnels vom „Führerbunker“ zum Flughafen Tempelhof gehört übrigens zu den Klassikern der Berliner Untergrund-Legenden. Solch einen Tunnel gibt es nicht!
Während der achtziger Jahre fanden auf dem heutigen Areal der „Topographie des Terrors“ wiederholt Grabungen statt. Das Gelände an der Wilhelmstraße bzw. der heutigen Niederkirchnerstraße beherbergte während des Nationalsozialismus die Hauptquartiere der SS, der Gestapo, des „Sicherheitsdienstes“ und des „Reichssicherheitshauptamtes“. Das Areal mit den Gebäuden am Rande Westberlins hatte den Krieg relativ gut überstanden, wurde seit Ende der fünfziger Jahre aber planiert – man ließ im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Vergangenheit wachsen. Erst durch die Aktivitäten einer Bürgerinitiative wurde die Geschichte dieses Areals wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerufen. Bereits 1983 hatte es eine erste symbolische Ausgrabung dort gegeben. Weitere Arbeiten auf dem Areal brachten die Fundamente der Gestapo-Haftzellen ans Tageslicht, die 1988 vom Archäologischen Landesamt unter Schutz gestellt wurden.
Derartige Initiativen waren auch ein deutliches Zeichen für den Wandel, der in der Zwischenzeit stattgefunden hatte: Die „Achtundsechziger“, die den Nationalsozialismus im Gegensatz zur vorangehenden „Generation der Täter“ aus der Perspektive der Opfer betrachteten, hatte nun wichtige Positionen in den Medien, der Kultur und der Politik erreicht und konnte den öffentlichen Diskurs entsprechend beeinflussen. Deswegen setzte in den achtziger Jahren auch an vielen Orten eine Diskussion darüber ein, wie mit NS-Architektur zu verfahren wäre.
1988 sollte der „Führerbunker“ im Zusammenhang mit Abrißarbeiten wieder in der Presse auftauchen. Für die Errichtung neuer Plattenbauten fand auf dem Gelände eine „Tiefenenttrümmerung“ statt, die auch Teile des Bunkers betraf. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ veröffentlichte am 01.09. einen interessanten Aufsatz dazu. Der von Monika Zimmermann verfaßte Text berichtete hauptsächlich über den Künstler Erhard Schreier, der die Abrißarbeiten am Bunker zeichnerisch dokumentierte. Aber der Artikel thematisierte auch die Art und Weise, wie die DDR mit NS-Architektur umging: „Überhaupt ist man im anderen Teil Deutschlands wenig sentimental, wenn es darum geht, etwas Neues auf dem Alten zu errichten, zumal wenn dieses Alte aus den Jahren 1933 bis 1945 übrigblieb – ein Zeitraum, für den die DDR jegliche Verantwortung ablehnt und dessen Erbe sie der Bundesrepublik allein aufbürdet. So werden alle Erinnerungen an das Dritte Reich hier am liebsten vollkommen getilgt – es sei denn, sie manifestierten sich in Gebäuden, die man heute noch gut gebrauchen kann.“ Später hieß es mit konkretem Bezug auf den „Führerbunker“ im Text:
„Gleichwohl: Am Erhalt dieses berühmt-berüchtigten Ortes ist in der DDR, die nicht müde wird, auf ihren Antifaschismus zu pochen, offenbar niemand interessiert. Wirklich niemand? Auch die DDR muß zunehmend erfahren, daß sich die Vergangenheit wohl doch nicht einfach zuschütten und durch einen ideologischen Gewaltakt verdrängen läßt. Sie kriecht unmerklich aus allen Ritzen. So wird die Entscheidung, nunmehr, nach über vierzig Jahren, die Reste der nationalsozialistischen Befehlszentrale endgültig zu beseitigen, keineswegs offen diskutiert oder gar kritisiert, sondern – im Gegenteil – wieder einmal als Beweis für die Erneuerungskraft des Sozialismus herangezogen. Doch hinter vorgehaltener Hand hört man viele Stimmen, die zwar nicht den Erhalt dieses „Mahnmals“ fordern, wohl aber meinen, eine wissenschaftlich exakte Dokumentation der historischen Situation müsse unbedingt der Zerstörung vorangehen. Doch bislang hat kein Stadtarchäologe oder Historiker diesen Ort vermessen.“
Die offene Diskussion sollte erst einige Jahre später erfolgen...
IV Archäologisches Reservat im Todesstreifen
Durch die Öffnung und folgende Beseitigung der Berliner Mauer wurde ab Ende 1989 das Areal zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. An dieser Stelle war der so genannte „Todesstreifen“, also die Fläche zwischen den beiden Mauern, aus denen der „antifaschistische Schutzwall“ bestand, besonders breit. Durch Krieg und Abriß befand sich hier, inmitten der Stadt, eine große Brache, die von 1961 bis 1989 prinzipiell nur den DDR-Grenztruppen und der Staatssicherheit zugänglich war. Daß sich unter diesem Gelände noch NS-Bunker befanden, war der Öffentlichkeit kaum bekannt – mit einer Ausnahme: Wer damals in Westberlin eine der Aussichtsplattformen an der Mauer betrat, konnte im Todesstreifen einen kleinen Hügel ausmachen, der von Touristenführern und in der Berlin-Literatur oft als Relikt des „Führerbunkers“ ausgewiesen wurde. In Wirklichkeit handelte es sich aber um verbliebene Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei.
Für den Archäologen Alfred Kernd'l, der in den folgenden Debatten eine große Rolle spielen sollte, war auf dieser Fläche durch den Bau der DDR-Grenzbefestigungen unbeabsichtigt ein unterirdisches „archäologisches Reservat“ entstanden, das historische Spuren konservierte. Die oberirdischen Reste des ehemaligen Regierungsviertels, in dem sich einerseits Hitlers gigantomanische Neue Reichskanzlei, aber andererseits eben auch der dazugehörige, den Zusammenbruch des Regimes symbolisierende, „Führerbunker“ befunden hatten, waren nicht mehr vorhanden. Diese Zerstörung war laut Kernd'l vor allem durch das Bedürfnis der Verdrängung motiviert. Größenwahn und totale Niederlage sollten im Stadtzentrum nicht mehr sichtbar sein. Aber unter der Erde waren noch eindeutige Spuren der Vergangenheit vorhanden, die an die Führungsspitzen des „Dritten Reiches“ erinnerten. Konkret befanden sich unter dem Todesstreifen bzw. unter dem unmittelbar angrenzenden Hinterland der Berliner Mauer:
die Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei an der Voßstraße (ein Teil der umfangreichen Bunkeranlagen dieses Gebäudes war bereits zu DDR-Zeiten abgetragen worden),
der „Fahrerbunker“ an der Ebertstraße,
der „Führerbunker“ an der Gertrud-Kolmar-Straße sowie
die Reste von Joseph Goebbels' Bunker an der Behrenstraße.
Im März 1990 berichteten die Medien von einer ersten Entdeckung im vormaligen Grenzgebiet: Die Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei waren gefunden worden, offenbar zuerst von neugierigen Jugendlichen. Diesem Fund sollten weitere Entdeckungen folgen, die bis Ende der neunziger Jahre immer wieder für emotional aufgeladene politische Diskussionen sorgten. Dabei herrschte oft eine gewisse Verwirrung: Diverse Journalisten konnten die Bunker der Neuen Reichskanzlei, den „Fahrerbunker“ und den „Führerbunker“ nicht voneinander unterscheiden; zudem fehlte es oft auch an grundsätzlichen Kenntnissen der Anlagen.
Einen ersten Vorgeschmack dieser Problematik lieferte ein „Was soll aus Hitlers Bunker werden?“ betitelter Artikel der „Berliner Morgenpost“ vom 22.03.1990. Darin wurde berichtet, daß Historiker und Denkmalschützer aus beiden Teilen Berlins die Reste des Bunkers am ehemaligen Todesstreifen gemeinsam besichtigen wollten. Dr. Klaus-Martin Groth, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, hätte eine entsprechende Genehmigung bei den DDR-Grenztruppen erwirkt. Sein Ziel wäre, eine öffentliche Diskussion über den „Führerbunker“ in Gang zu bringen. Mit der anstehenden Besichtigung, so die Zeitung, würde sich auch die Frage stellen, wie mit dem Bunker zu verfahren wäre.
In diesem Text wurde davon ausgegangen, daß eine Begehung des „Führerbunkers“ prinzipiell nach dem Abpumpen des im Untergeschoß stehenden Wassers möglich wäre. In Wirklichkeit war solch ein Vorhaben aber seit der erwähnten „Tiefenenttrümmerung“ des Bunkers Ende der achtziger Jahre kaum noch möglich. Aber immerhin stimmte das beschriebene Objekt tatsächlich mit der Bezeichnung „Führerbunker“ überein – das sollte im weiteren Verlauf der Bunker-Debatten nicht immer selbstverständlich sein. In dem Artikel erklärte der Direktor des Ost-Berliner Büros für Städtebau, Dr. Günter Stahn, zur Zukunft der Anlage: „Wir können unsere Geschichte nicht beseitigen, indem wir die baulichen Reste dieser Geschichte beseitigen.“ Historiker Professor Wolfgang Wippermann hingegen forderte einen Abriß der Anlage: Der Führerbunker wäre als Ort der Täter ein „absoluter Unort“. Sabine Weißler, die kulturpolitische Sprecherin der Alternativen Liste, führte an, daß die Vorstellung, Touristen könnten auf der Suche nach dem echten Grauen durch die Räume ziehen, sie abstoßen würde. Als eine vermittelnde Position konnte sich wiederum Dr. Hans Gerd Hannesen vom Deutschen Historischen Museum, trotz der Gefahr der Entstehung einer NS-Kultstätte, vorstellen, den Bunker einer Gedenkstätte anzugliedern.
In diesem Artikel tauchten somit bereits die grundsätzlichen Argumentationsmuster auf, die die Debatte über Jahre hinweg kennzeichnen sollten:
Der Abriß der Bunker würde eine Verdrängung der Geschichte darstellen.
Die Bunker wären Orte der NS-Täter und müßten deswegen abgerissen werden.
Die Bunker könnten Orte eines morbiden Tourismus werden.
Die Bunker könnten in vorhandene Gedenkstätten „integriert“ werden.
Zurück zu der erwähnten Entdeckung der Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei, von der einen Tag später, am 23.03.1990, in dem Boulevardblatt „BZ“ berichtet wurde: Der Artikel „3 Freunde seilten sich nachts in den Führer-Bunker ab“ berichtete von Jugendlichen, die eine entsprechende Tour unternommen hatten. Der Untertitel der Reportage, „Unheimliches Abenteuer zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor“, verwies bereits treffend auf die grundsätzliche Tendenz dieses Artikels. Die Frage nach den historischen bzw. politischen Hintergründen des Bunkers wurde hier nicht gestellt. Aber immerhin tauchte am Ende des Textes der Verweis auf, daß der „eigentliche Führerbunker“ bereits abgerissen wurde. Dann fragt sich nur noch, warum Hitlers Bunker überhaupt in der Überschrift auftauchte!
Der Fund, den die Jugendlichen gemacht hatten, zog schnell weitere Aufmerksamkeit auf sich: Bereits am 27.03. berichteten mehrere Zeitungen über eine von Feuerwehr und Polizei mit Journalisten durchgeführten Begehung des Bunkers. Der „Berliner Zeitung“ fiel dabei auf, daß der vorangehende Artikel der „BZ“ zu einer schnellen Reaktion aus der rechtsradikalen Szene geführt hatte: In dem Bauwerk befand sich eine neonazistische Schmiererei mit dem Datum „23.3.90“ – eben dem Tag, an dem der „BZ“-Text erschienen war. „Neues Deutschland“ legte wiederum einen konkreten Nutzungsvorschlag vor: Der Bunker könnte in einen Park integriert werden, der die Untaten des Faschismus, seine Opfer und die Widerstandskämpfer zum Thema haben sollte. Auch der Reichstag und die freigelegten Keller der Gestapo-Zentrale könnten in dieses Konzept integriert werden. Die „Tageszeitung“ („taz“) erwähnte am 29.03. mit der Überschrift „Gruseltourismus im ‚Führerbunker‘“ die rechtsradikale Graffiti in dem Reichskanzlei-Bunker und warnte vor dubiosen Formen des Tourismus bzw. einer rechtsradikalen Kultstätte. Es wäre wichtig, das Bauwerk in seinem historischen Kontext darzustellen.
Am 28.03. hatte die „BZ“ übrigens kurz davon berichtet, daß der Eingang des Bunkers mit einem schweren Betondeckel versperrt worden war. Die Überschrift lautete kurz und knapp: „Hitlerbunker dicht“. Mit der Abdeckelung des Einganges wurde das spätere Vorgehen mit diversen unterirdischen Relikten des Nationalsozialismus zum ersten Mal exemplarisch vorgeführt: Deckel drauf, Thema erledigt, nach dem Motto: „Aus dem Blick, aus dem Sinn!“
Am 30.03.1990 schaltete sich „Die Zeit“ mit dem Artikel „Die Mördergrube“ in die Debatte ein. Einige Stellen lassen dabei den Verdacht aufkommen, daß der Verfasser Probleme hatte, den Reichskanzlei-Bunker und den „Führerbunker“ voneinander zu unterscheiden. Auf jeden Fall meinte er Letzteren. Zunächst wurden in dem Text bereits teilweise bekannte Positionen zitiert, wie zum Beispiel die oben angeführten Vorbehalte der Politikerin Sabine Weißler gegenüber einem möglichen Gruseltourismus. Zugleich sprach sie sich aber auch für eine Sicherung und Dokumentation der Bunkerreste aus. Günter Stahn, der ebenfalls in der „Berliner Morgenpost“ vom 22.03. zitiert wurde, forderte nun nicht mehr nur den Erhalt des Bunkers, sondern setzte sich für die Gestaltung einer „historischen Meile“ von der Reichskanzlei bis zur Prinz-Albrecht-Straße (heutige „Topographie des Terrors“) ein. Möglicherweise basierte Stahns Vorschlag auf dem nie umgesetzten Vorhaben, zu DDR-Zeiten eine „Toleranzmeile“ in der Wilhelmstraße einzurichten.
Der Verfasser des Artikels legte wiederum seinen eigenen Standpunkt in einer sehr deutlichen Form dar: Die „Mördergrube“ sei für ihn ein „Ort der Täter“, zwar von Hitler nur eine kurze Zeit lang genutzt, aber eben das Symbol für die Zerstörungsarbeit Hitlers, der nur vernichtend existieren konnte. Zusammenfassend: „Kein Kriegs-, kein Antikriegsmuseum, kein Mahnmal mit Kranzablage – sondern ein Dokumentenhaus könnte hier seinen Platz finden, welches das Verbrechen Krieg zeigt, und das heißt: die Verbrechen und die Verbrecher der Deutschen Wehrmacht.“
In zwei folgenden Texten in „Neues Deutschland“ (31.03.1990) und in der „Tageszeitung“ (06.04.1990) positionierte sich u.a. Sabine Weißler erneut. Sie plädierte für einen offenen Umgang mit diesem historischen Erbe, das zu erhalten, zugleich aber auch in seinen historischen Kontext zu setzen wäre. So in „Neues Deutschland“: „Eine mögliche deutsche Hauptstadt Berlin kann nur dann auch moralisch glaubwürdig sein, wenn sie sich ganz offensiv zu ihrer Geschichte bekennt und verhält. Dazu gehört, daß man dieses Zentrum faschistischer Macht und den Geist, besser, den Ungeist, der von hier ausging, begreifbar macht.“ In diesem Interview plädierte wiederum der DDR-Historiker Professor Dr. Olaf Groehler dafür, Hitlers Bunker in die Berliner Museumsplanung einzubeziehen: „Als Stätte von Tätern, als Stätte für Opfer, als Stätte des Kampfes für Menschlichkeit“. Die Gefahr eines NS-Kultortes sah er dabei nicht: „Wenn wir die Zeichen setzen ... wie verantwortungsvoll jeder Bürger mit solchen Gütern wie Frieden, Demokratie, Freiheit, Toleranz umgehen muß, beugen wir braunen Wallfahrtsideen vor.“
Auch die Illustrierte „stern“ warf in ihrer Ausgabe vom 19.04. wiederum die Frage auf, ob der Reichskanzlei-Bunker unerwünschten Gruseltourismus anziehen oder zum NS-Wallfahrtsort werden könne.
V Entdeckung einer weiteren Altlast
Im Juli 1990 sollte auf dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz ein ganz besonderes Ereignis stattfinden: Eine Aufführung des Pink Floyd-Spektakels „The Wall“. Nun gab es zu jener Zeit Pink Floyd eigentlich gar nicht mehr; bei dem Konzert handelte es sich um eine Soloshow von Roger Waters, der dem Rest der Band den Rücken gekehrt hatte bzw. rausgeschmissen wurde. Trotz dieser Querelen war der Symbolismus des Ereignis kaum zu überbieten: „The Wall“ auf dem Gebiet der frisch abgerissenen Berliner Mauer... vor allem, wenn man bedenkt, daß am Ende von „The Wall“ die besagte Mauer ja auch niedergerissen wird!
Angesichts des „glücklichen Endes“ der Berliner Mauer bzw. des „The Wall“-Albums entbehrte es somit nicht einer gewissen Komik, daß im Juni 1990 im Rahmen der Vorbereitungen für das Konzert eine Entdeckung gemacht wurde, die unter ganz anderen Vorzeichen stand: Bei der Suche nach alten Munitionsresten fand man auf dem Gelände einen Bunker. Es handelte sich dabei um den Luftschutzbau von Hitlers Fahrbereitschaft bzw. Begleitmannschaft, einer „Fahrerbunker“ genannten Anlage. Sie hatte eine Innenfläche von 8 mal 30 Metern.
Besondere Brisanz erhielt diese Entdeckung dadurch, daß zumindest einer von Hitlers Chauffeuren offenbar nicht ganz ausgelastet war: Die Wände des Bunkers waren von NS-Wandmalereien bedeckt, die man direkt auf die Putzschicht aufgetragen hatte und die offenbar vom Sommer 1941 stammten. Der Stil der Bilder ist naiv und von Talent kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Die Bilder stellen SS-Männer, „Volksgenossen“ und Kriegsszenen dar, teilweise humoristisch angehaucht. Auf den Bildern üben die SS-Leute eine Funktion als Beschützer der „Volksgenossen“ aus. Insgesamt wirken die Bilder auf den heutigen Betrachter peinlich und lächerlich. Man könnte von einer Nazi-Version Wilhelm Buschs sprechen, aber ohne dessen Können. Ihre historische Aussagekraft ist eher begrenzt, aber in dieser Form und in diesem Kontext sind die Bilder in einer gewissen Hinsicht „einmalig“.
Die zweite Besonderheit ist die Tatsache, daß der Bunker offenbar bei Kriegsende ohne Kampf geräumt und sein Eingang kurz danach verschüttet oder verfüllt wurde. Somit wurden die Entdecker 45 Jahre später, wie Kernd'l es formulierte, mit einem gleichsam erstarrten Moment der letzten Kriegstage und des Zusammenbruchs konfrontiert. Diverse kleinere Gegenstände, wie z.B. Holzmöbel, Besteckteile, Uniformzubehör und Orden, lagen im Bauwerk herum. In der Archäologie spricht man in diesem Zusammenhang von einem „geschlossenen Befund“, der laut Kernd'l am einstigen Zentrum der Macht das Denken der damaligen „Prätorianer“ (also der SS) und den apokalyptischen Untergang im Frühjahr 1945 vermitteln würde.
Da der Bunker bereits zwei Tage nach seiner Entdeckung wieder zugeschüttet und seine Existenz weitgehend vor der Öffentlichkeit verborgen werden konnte, war die Resonanz der Medien eher gering. Die „Tageszeitung“ kommentierte den Fund am 09.06. unter der Überschrift „Authentisches Gruseln“ bissig: „Nun ist die Gruselshow perfekt ... Das Publikum darf auf SS-Bunkern im Untergrund zwischen Pariser und Leipziger Platz tanzen.“
Die Zeitung „Neues Deutschland“ interviewte am 30.06.1990 den sowjetischen Historiker Lew Besymenski zur Frage des Umganges mit dem „Führerbunker“. Problematisch war dabei, daß die Zeitung irrtümlicherweise davon ausging, daß der „Führerbunker“ mit den Bunkerresten der Neuen Reichskanzlei identisch wäre. Besymenski erklärte jedenfalls zu Hitlers Bunker: „Geschichte läßt sich nicht zudecken, auch wenn ihre Negativausstrahlung als etwas sehr Unangenehmes empfunden wird.“ Den bereits im Zusammenhang mit dem Reichskanzlei-Bunker von der Zeitung vorgetragenen Vorschlag der Einrichtung eines historischen Parks auf dem ehemaligen Grenzstreifen hielt er unter bestimmten Umständen für diskussionswürdig. Zur Gefahr einer Neonazi-Kultstätte, erklärte er, daß die politische Absicht dahinter von einem antifaschistischen Geist getragen werden müsse und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus darzustellen wäre. Und: „Die Wahrheit über die Vorgänge im Führerbunker ist übrigens nicht manipulierungsfähig.“ Der Ort würde keinen geeigneten Hintergrund für eine neue Siegfried-Saga abgeben.
Am 10.08.1990 meldeten sich noch einmal mehrere Berliner Zeitungen hinsichtlich der Reichskanzlei-Bunkerreste zu Wort. Der Anlaß dazu war eine mit einer offiziellen Begehung verbundene Freilegung des Einganges im Rahmen einer Bausicherungsmaßnahme – vor einer erneuten Verschließung des Bunkers. Neue Argumente im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zukunft des Bunkers wurden nicht vorgetragen. Der Ostberliner Stadtrat für Inneres, Thomas Krüger, erklärte in den verschiedenen Artikeln u.a., daß Geschichte nicht entsorgt werden solle, ein Teil des Bunkers solle erhalten bleiben. Aber man wolle auch keinen NS-Wallfahrtsort. Die Zukunft der Anlage müsse politisch entschieden werden. Ihm würde eine Ausstellung vorschweben, die Gruseltourismus vorbeugt und Schulklassen „Geschichtsunterricht zum Greifen“ bieten würde. Die „Tageszeitung“ schrieb, daß das Objekt nicht zur Wallfahrtsstätte taugen würde. Es wäre zu profan und die Räume wären ja auch weitgehend leer. Damit hatte sich die Bunker-Debatte zunächst erst einmal erschöpft: Der Bunker war nun verschlossen, die Argumente hatte man vorgetragen.
In den folgenden anderthalb Jahren tauchten unterirdische Relikte des Nationalsozialismus vereinzelt in den Medien auf. So berichtete zum Beispiel die „Tageszeitung“ am 05.06.1991 über Führungen durch den Flughafen Tempelhof, dessen unterirdische Bereiche bereits viel Stoff für Sagen, Legenden und Mythen geliefert haben. Im Oktober 1991 wurde wiederum in der Boulevardpresse berichtet, daß man im Kellerbereich der Schultheiss-Brauerei im Prenzlauer Berg (heutige „Kulturbrauerei“) geheimnisvolle Tunnel entdeckt hätte, in denen möglicherweise von der SS hinterlassener Sprengstoff lagern würde. Dieser Sprengstoff sollte freilich nie gefunden werden. Am 09.03.1992 tauchte die Schultheiss-Brauerei dann in der „Berliner Zeitung“ auf. Dieses Mal ging es unter der Überschrift „Maulwürfe im Bierkeller“ freilich nicht um einen Sprengstoff-, sondern um einen Giftgas-Verdacht... der aber ebenfalls nicht erhärtet werden konnte.
Neben diesen Fehlalarmen gab es im Januar 1992 aber auch einen echten Untergrund-„Knaller“ im Volkspark Friedrichshain. In der Grünanlage befinden sich zwei kleine Berge, die aus vormaligen Flakbunkern bestehen, die nach dem Krieg mit Trümmern überschüttet und dann begrünt wurden. Eine mysteriöse, weithin hörbare Explosion erschütterte am 21.01. einen der beiden Trümmerberge. Der „Tagesspiegel“ berichtete daraufhin am 23.01. und 24.01. von einem „Stasi-Labyrinth unter dem großen Bunkerberg“ und präsentierte einen unterirdischen Tunnel vor Ort – und einen Grünlandgestalter des Gartenamtes, der von früherer, intensiver Stasi-Tätigkeit zu berichten wußte. Die Ausgabe vom 24.01. enthielt dann auch zwei entsprechende Photos. Nur: Was die Stasi denn genau in diesem Tunnel eigentlich gemacht haben soll – diese Frage wurde nie beantwortet. Auch die Hintergründe der Explosion blieben unklar. Das Thema verschwand nach den beiden Artikeln spurlos aus der Berichterstattung der Zeitung. Wenig Beachtung fanden in den Medien zu jener Zeit die Vorgänge um den Bunker des alten Adlon-Hotels am Pariser Platz, der von 1991 bis 1992 vermessen bzw. dokumentiert und dann teilweise abgetragen wurde. Die Reste der Anlage wurden anschließend verschlossen.
VI Bunker unter Denkmalschutz?
1992 sollte die Debatte um den Umgang mit dem verbliebenen Bunker der Neuen Reichskanzlei und dem „Fahrerbunker“ erneut entfacht werden. Alfred Kernd'l, Direktor am Archäologischen Landesamt in Berlin, schaltete sich nun in eine Debatte ein, die durch seine Argumente in den folgenden Jahren stark geprägt werden sollte. Er vertrat die Ansicht, wie zum Beispiel im „Tagesspiegel“ vom 08.01.1992 artikuliert, daß die Bunkeranlagen die letzten noch sinnlich wahrnehmbaren Fixpunkte der historischen Topographie der Ministergärten darstellten und somit erhalten bleiben müßten. Bei einer Diskussionsveranstaltung der „Zukunftswerkstatt“ setzte er sich im Februar 1992 zusammen mit Michaele Schreyer, der stadtentwicklungspolitischen Expertin des Bündnis 90/Grüne, und dem stellvertretenden Vorsitzenden des parlamentarischen Kulturausschusses, Nikolaus Sander von der SPD, für die Restaurierung und Öffnung des Fahrerbunkers ein. Der Schutzraum müsse ein „Erinnerungsort mit mahnender Funktion“ werden.
Dann war das Thema auch in der Politik der Stadt angelangt: Am 26.03.1992 beauftragte das Berliner Abgeordnetenhaus das Archäologische Landesamt Berlin, die Reste der historischen Topographie des Areals der Reichskanzlei zu untersuchen und zu dokumentieren – was natürlich primär den Bunker der Neuen Reichskanzlei und den „Fahrerbunker“ betraf. Die entsprechende Untersuchung wurde im folgenden Mai durchgeführt, die Bunker danach wieder verschlossen und ihre Zugänge verfüllt (bei späteren Untersuchungen sollten auf dem Gelände übrigens auch Reste eines Innenhofes der Neuen Reichskanzlei gefunden werden).
Im Juni 1992 wurde dann verkündet, daß der „Fahrerbunker“ nun unter Denkmalschutz gestellt werden sollte. Er sollte zudem zukünftig in die für das Gelände geplanten Ländervertretungen integriert und als historischer Fixpunkt öffentlich zugänglich gemacht werden. Kernd'ls Wunsch dazu in der „Berliner Morgenpost“ vom 06.06.1992: „So könnte eine historisch bewußte Stadtplanung Fundamente der Erinnerung legen, die auch in Deutschland einen in sich ruhenden Patriotismus mitbegründen, der ohne Sack und Asche und ohne Hurra-Gebrüll auskommt.“
Die Aufnahme der Bunker zwischen Voßstraße, Friedrich-Ebert-Straße und der heutigen Wilhelmstraße in die Liste unter Denkmalschutz stehender Bauten führte ab Anfang Juli 1992 zu einer erheblichen Resonanz in den Medien, die bis zum Oktober des Jahres anhalten sollte und fast alle bedeutenden Berliner bzw. westdeutschen Druckmedien einbezog: „Tagesspiegel“, „Berliner Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „Tageszeitung“, „BZ“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“, „Neues Deutschland“, „Die Welt“, „Bild“ und „Der Spiegel“. Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, die Diskussion in all ihren Facetten und Nuancen darzulegen. Statt dessen sollen die wichtigsten Argumentationsmuster dargelegt werden. In den verschiedenen Artikeln bzw. Diskussionen legten Kernd'l bzw. diejenigen, die ihn unterstützten, folgende Beweggründe für einen Denkmalschutz dar:
* Es sollten die letzten topographischen Fixpunkte auf dem Areal der ehemaligen Ministergärten bzw. des Geländes der Reichskanzlei und der Neuen Reichskanzlei gesichert werden. Sie könnten der Kristallisationspunkt für eine historische Erschließung und Veranschaulichung des Areals anhand von Übersichtsplänen und Ortsbeschreibungen sein.
* Die Anlagen wären eindringliche Zeugnisse der deutschen Geschichte, die nicht einfach so abgerissen werden sollten. Wie man zum Beispiel bei der fast vollständig abgerissenen Berliner Mauer sehen könnte, würde ein Mangel an solchen Zeugnissen zu Darstellungsproblemen führen.
* Letzten Endes würde sich der Abriß der Bunker in die unheilvolle Tradition der verdrängenden „Entsorgung“ Berliner NS-Architektur einordnen. Unerwünschte Geschichte könne aber nicht einfach aus Gründen des politischen Opportunismus entsorgt werden.
* Der „Fahrerbunker“ würde mit seinen Fresken ein begehbares Zeugnis des Denkens der „Eliten“ seiner Zeit darstellen. Zugleich wären die Zustände innerhalb des Bunkers eine erstarrte Apokalypse des Nationalsozialismus in seiner Untergangsphase. Der Kontrast zwischen der an die Wände gemalten „NS-Idylle“ und den an das katastrophale Ende des „Dritten Reiches“ erinnernden Zuständen im Bunker würde für sich sprechen.
* Die Banalität dieser Orte bzw. der Wandmalereien im „Fahrerbunker“ würde einer Mythenbildung vorbeugen. Eher würde ein Abriß der Bunkeranlagen bzw. ihre Verdrängung zur Mythenbildung führen und bei echten Rechtsradikalen ohnehin kein Umdenken bewirken. Eine Demokratie sollte die Präsenz solcher Orte und die Gefahr der Entstehung von NS-Wallfahrtsstätten aushalten können. Künstliche Tabus würden solche Orte nur künstlich aufwerten.
* Durch Ausstellungen, die die Bunker in ihren historisch korrekten Kontext einordnen würden, könne der Gefahr einer NS-Wallfahrtsstätte vorgebeugt werden.
Der Denkmalschutz-Vorstoß mobilisierte natürlich auch die Gegner eines solchen Vorgehens. Ihre Argumente, wie sie zum Beispiel in einem Leitartikel der „Tageszeitung“, im „Neues Deutschland“, im „Tagesspiegel“ oder von der Jüdischen Gemeinde formuliert wurden, enthielten folgende Kernpunkte:
* Es bestünde die Gefahr, daß die Bunker zu Wallfahrtsorten Rechtsradikaler werden könnten. Ein „Obersalzberg“ in Berlin wäre nicht wünschenswert – gerade angesichts der schweren ausländerfeindlichen Ausschreitungen im Osten Deutschlands.
* Die Bunker wären eines Denkmalschutzes nicht würdig. Ihre Anwesenheit wäre eine historische „Kontaminierung“ des Areals.
* Nur konkrete Orte der NS-Opfer wären angemessene Zeugnisse des Nationalsozialismus und hätten einen Erhalt verdient. Angesichts der Tatsache, daß es in Berlin immer noch kein zentrales Denkmal für diese Menschen gäbe, wäre ein Denkmalschutz für Orte der NS-Täter nicht akzeptabel.
* Es wäre nicht nachvollziehbar, daß das Lenin-Denkmal abgerissen wurde, während die NS-Bunker wiederum unter Schutz gestellt werden sollten.
* Die historische Aussagekraft der Bunker bzw. der Wandmalereien des „Fahrerbunkers“ wäre äußerst gering und würde den Nationalsozialismus verharmlosen. Es gäbe weitaus prägnantere Zeugnisse des „Dritten Reiches“ in Berlin. Auch über die Geschichte der Neuen Reichskanzlei und des Areals der Ministergärten könnten sie nichts aussagen.
* Die Bunker würden zudem das für das Areal geplante Denkmal für die Holocaust-Opfer stören.
* Die Präsenz der Bunker als Orte der Täter würde gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Nachkommen einen Affront darstellen.
Auffallend scharf war unter diesen Stimmen ein Kommentar, der unter der Überschrift „Ein Nazi-Denkmal für Berlin“ am 04.07.1992 in der „Süddeutsche Zeitung“ erschien. Der Verfasser ging davon aus, daß die Bunkeranlagen sich zu einer NS-Wallfahrtsstätte entwickeln würden. Kernd'ls Vorstoß würde, so die Argumentation, eine unzulässige Aufwertung der Bunker darstellen. Es wäre erst einmal an den Politikern, „einen im Entdekkungseifer blind gewordenen Wissenschaftler zurückzupfeifen“. Eindringlich fragt der Verfasser nach dem Sinn des Denkmalschutzes für diese Bauten: „Will man dem Besucher den Grusel der Geschichte über den Rücken jagen, nach dem Motto: Hier, in unmittelbarer Nähe, verbrachte Adolf Hitler seine letzten Stunden?“ Der Bunker solle – falls er neue Erkenntnisse über die internen Verhältnisse der SS erbringen könnte – dokumentiert, dann aber zugeschüttet werden. Am Ende des Artikels verweist der Kommentar noch mal auf die Problematik, daß mit DDR-Relikten weniger glimpflich umgegangen wurde: „Man würde auch nicht lange fackeln, ginge es dort im ehemaligen Todesstreifen um eine Kantine malwütiger DDR-Grenzsoldaten.“
Vermittelnde Stimmen gab es nur wenige. Der SPD-Fraktionssprecher Yorck Kaempfer setzte sich für eine kritisch kommentierte, in die Gedenkstätte für NS-Opfer einbezogene, Öffnung der Bunker ein. Kultursenator Ulrich Roloff-Momin wiederum wollte die Anlagen zunächst einmal gesichert und ihr Schicksal später in einem öffentlichen Entscheidungsprozeß geklärt sehen. Diese Haltung wurde allerdings von Anderen kritisiert, die darin Unentschlossenheit sahen. Ein Vorschlag Roloff-Momins, die Reste des Führerbunkers mit Erde aus Orten des NS-Terrors in einem symbolischen Akt zu verschütten, fand keine weitere Resonanz. Später sagte Roloff-Momin während einer Podiumsdiskussion, daß der öffentliche Zutritt bei einem Erhalt des Bunkers restriktiv gehandhabt werden müsse. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky kommentierte in diesem Zusammenhang Kernd'ls Anliegen kurz und knapp mit einem Wort: „Zuschütten!“
Eine ungewöhnliche Idee wurde am 28.07.1992 in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ geäußert: Die Bilder des Fahrerbunkers sollten von den Wänden des Baus abgelöst und im Deutschen Historischen Museum inmitten des originalgetreu nachgebauten Bunkers ausgestellt werden – und zwar in den entsprechenden zeithistorischen Kontext des NS-Staates und der umliegenden NS-Architektur eingebettet. Der Bunker solle dokumentiert und dann verschüttet werden.
Zusammenfassend hatten sich im Sommer 1992 also folgende grundsätzliche Positionen hinsichtlich der Zukunft der Bunker herauskristallisiert:
Die Bunker unter Denkmalschutz stellen und der Öffentlichkeit zugänglich machen – eventuell aber nur mit eingeschränktem Zutritt (z.B. beschränkt auf Fachleute oder Einzelpersonen). Die Bunker könnten auch in die Fundamente der geplanten Ländervertretungen integriert werden.
Die Bunker unter Denkmalschutz stellen und zusammen mit der „Topographie des Terrors“ in ein Gedenkstätten-Ensemble zu integrieren.
Die Bunker zuschütten bzw. verschließen.
Die Bunker nach Entfernung historisch relevanter Gegenstände (und eventueller Ablösung und Aufbewahrung der „Fahrerbunker“-Wandgemälde) abreißen.
Die Bunker erst einmal dokumentieren bzw. sichern und eine endgültige Entscheidung später fällen.
Ein Artikel der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 06.07.1992 bereicherte die Debatte um neue, interessante Aspekte: So wurde darauf hingewiesen, daß die DDR – trotz ihres immer wieder verkündeten Antifaschismus – sich nie mit der historischen Erblast des „Führerbunkers“ befaßt, sondern ihn verdrängt hätte. Zudem verweist der Verfasser noch auf eine Komponente, die die gesamte Diskussion beeinflußt haben könnte: „Die Voßstraße, das Gelände der Reichskanzlei, unmittelbar dem Potsdamer Platz benachbart, wird vielleicht nicht so sehr als NS-Denkmal, sondern mehr als ein Moment wahrgenommen, das dem Drängen der Investoren Widerstand entgegenstellt.“ Für die Reichskanzlei wäre eine ähnliche Lösung wie für die „Topographie des Terrors“ denkbar: „Ein Platz der Leere, hervorgehoben durch seinen prominenten Ort zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz, der geschlossene Betondeckel auf den Katakomben des Verbrechens könnte der Stadt zur ständigen Mahnung werden.“
Die Diskussion wurde auch dadurch am Leben erhalten, daß das Deutsche Historische Museum im August 1992 eine Ausstellung eröffnete, in der Photos der Wandgemälde des „Fahrerbunkers“ zu sehen waren. Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über diese Ausstellung wurden die mittlerweile bekannten „pro und contra“-Argumente noch einmal wiederholt.
Der in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 28.10.1992 erschienene Artikel „Die skurrilen Phantasien der Fahrbereitschaft“ ist vielleicht der letzte nennenswerte große Text zu dieser Diskussion. Darin wurde auch eine Diskussionsveranstaltung des Aktiven Museums zum Thema besprochen. In dem Artikel kamen einflußreiche Stimmen zu Wort: Christoph Stölzl, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, sowie Professor Rürup, der wissenschaftliche Leiter der „Topographie des Terrors“, nannten den „Fahrerbunker“ harmlos, banal und ohne historischen Wert. Er wäre eine Touristenattraktion ohne Aussagekraft, die ein verfälschendes Bild des Nationalsozialismus vermitteln würde. Rürup wollte den Bunker auch nicht unter die Obhut der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ stellen, da dieser ihre Seriosität gefährden würde. Interessanterweise sprachen sich aber beide für eine Ablösung und Konservierung der Wandbilder aus. Kultursenator Roloff-Momin – letztendlich der Entscheidungsträger – erklärte, der Bunker würde überbewertet, wenn man ihn erhalten und zugänglich machen würde. Es gäbe genügend Orte in Berlin, die Aussagen über den Nationalsozialismus machen würden: „Orte, wo wir uns bekennen und das öffentlich machen können“.
VII Zwischenspiele
Nach dem Abflauen der Denkmalschutz-Diskussion sollten sich Ende 1992 die „Germania“-Tunnel am Sowjetischen Ehrenmal unter der Überschrift „Karthäuserkloster in der Katakombe“ in der Zeitung „Neue Zeit“ zurückmelden. Der am 14.12. erscheinende Artikel berichtete von Studenten der Technischen Universität, die diese Tunnel „entdeckt“ hätten und neue Nutzungskonzepte für diese „vergessenen Katakomben“ entwickeln würden – darunter eben auch das besagte Karthäuserkloster. Keine dieser Ideen wurde freilich jemals realisiert. Die „Berliner Morgenpost“ vom 11.04.1993 bezog sich in einer „Im Verborgenen: „Germanias“ unterirdisches Wege-Labyrinth“ betitelten Reportage ebenfalls auf diese Tunnel und andere Relikte des Nationalsozialismus im Stadtinneren. Dabei war der Inhalt des Textes – im Gegensatz zur Überschrift – relativ seriös. Interessantere Dinge spielten sich freilich anderswo ab: Im Januar 1993 wurden die alten Keller des berühmten, 1944 bei einem Luftangriff zerstörten Restaurants „Lutter und Wegener“ freigelegt. Bei diesen Grabungen wurden auch durch die Hitzeeinwirkung der Bomben verformte bzw. zerstörte Gegenstände mit den Initialen des Restaurants gefunden: Geschirr, Gläser und Bestecke.
Ein großer Luftschutzbunker aus NS-Zeiten, der sich unter dem Alexanderplatz befindet, tauchte in der „Neue Zeit“ vom 23.07.1993 auf. Die Zeitung berichtete, daß zu diesem Bunker vom Bezirksamt Mitte und der „Gewächshaus-GmbH Berlin“ ein Wettbewerb ausgelobt wurde. Laut Ausschreibung sollte der Wettbewerb Strukturen schaffen, die den Bunker zum „Freizeit-, Kultur- und Erlebnisstandort“ machen könnten. Das „Gewächshaus“ sollte dann als Ausstellungsbau über dem Bunker entstehen. Das Vorhaben wurde freilich nicht umgesetzt, obgleich in den Bunkeranlagen unter dem Alexanderplatz später tatsächlich Ausstellungen und andere Veranstaltungen stattfinden sollten.
Der Alptraum aller Gegner eines Denkmalschutzes für NS-Bunker manifestierte sich am 20.08.1993 in der „Bild“-Zeitung: „Tunnel-Experte entdeckte Nazi-Feier im Geheim-Bunker“. In der Reportage war von einem „Unterwelt-Forscher“ namens Thomas Wenzel die Rede, der im bereits erwähnten Luftschutzbunker des alten Adlon-Hotels Neonazis entdeckt hätte. Etwa zehn junge Männer, die Teile von Wehrmachtsuniformen trugen, hätten Nazi-Lieder gesungen. An einer Wand wäre eine Hakenkreuz-Fahne gewesen. Wenzel hätte sich unbemerkt zurückziehen und die Fahne später entfernen können. Er und sein Kollege Dietmar Arnold gehörten zur „Arbeitsgemeinschaft Unter den Straßen Berlins“, dem Vorläufer des Vereines „Berliner Unterwelten“. Im Auftrag des Senats, so der Artikel, würden sie den Berliner Untergrund erkunden. Interessant war dabei auch der Untertitel des Textes: „Das Böse versteckt sich im Dunkeln...“
Im September 1993 übergab das Archäologische Landesamt dem Senator für kulturelle Angelegenheiten die vom Abgeordnetenhaus 1992 beauftragte Dokumentation der Reste der historischen Topographie des Geländes der ehemaligen Neuen Reichskanzlei. In der Dokumentation wurde ein Denkmalschutz für den „Fahrerbunker“, die Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei und den Innenhof der Neuen Reichskanzlei vorgeschlagen.
1994 wurde im Zusammenhang mit den Tunnelbauarbeiten im Tiergarten eine für die „Große Halle“ der „Germania“-Planung gebaute Anlage abgerissen. Es handelte sich um eine am Reichstag liegende Sohle eines Kanals, der als Spreedurchstich gebaut werden sollte. Wie die Presse berichtete, war das Bauwerk etwa 160 Meter lang sowie 12 Meter breit und konnte nur mit erheblichem Aufwand entfernt werden.
VIII Senat gegen Denkmalschutz
Im November 1994 erklärte der Berliner Senat, daß die Reste des „Fahrerbunkers“ nicht denkmalschutzwürdig wären. Eine Unterschutzstellung würde den Bunker nur unangemessen aufwerten. Zudem wäre die unweit entfernt liegende „Topographie des Terrors“ aussagekräftiger. Nur die Wandgemälde des „Fahrerbunkers“ könnten geborgen und konserviert werden. In der offiziellen Mitteilung 12/5026 des Abgeordnetenhauses vom 06.12.1994 heißt es dazu:
„Die Überprüfung hat jedoch ergeben, daß die Argumente, die auf eine Denkmalwürdigkeit hindeuten, gegenüber denjenigen, die dagegen sprechen, unterliegen. Es handelt sich eben nicht um zentrale Teile der Bunkeranlage, dies macht auch das Gutachten des Landeskonservators deutlich, sondern um eine Nebenanlage, nämlich die Aufenthaltsräume der Fahrbereitschaft der Reichskanzlei. Der für die Gesamtanlage unwichtige Nebenbunker könnte nachfolgenden Generationen nur ein sehr verzerrtes Bild von dem vermitteln, was die Reichskanzlei und ihre ausgedehnte Bunkeranlage im 3. Reich bedeuteten und wofür sie als Symbol standen.“
Die Mitteilung verweist sodann darauf, daß ein großer Teil der Öffentlichkeit bereits irrtümlicherweise annähme, der „Fahrerbunker“ wäre der „Führerbunker“. Diese falsche Projektion würde sich bei folgenden Generationen noch verstärken. Zu den im „Fahrerbunker“ vorgefundenen Gegenständen hieß es:
„Die Dokumentation des Archäologischen Landesamtes zeigt außerdem deutlich, daß nachfolgenden Generationen der Eindruck von den vorgefundenen Resten des Nebenbunkers auch durch das Fotomaterial und das Sichern und Präsentieren der einzelnen Fundstücke vermittelt werden kann. Dies gilt auch für die mit besonderer Aufmerksamkeit bedachten sogenannten „Wandgemälde“, die – gegebenenfalls exemplarisch – herausgelöst und gesondert präsentiert werden können.“
In der Mitteilung wurde auch ein Gutachten Professor Dr. Rürups, des wissenschaftlichen Leiters der „Topographie des Terrors“, ausführlich zitiert. Darin äußerte sich Rürup folgendermaßen über den „Fahrerbunker“: „Eine Erhaltung dieses Bunkers wäre jedoch nur unter der Voraussetzung sinnvoll, daß er der interessierten Öffentlichkeit geöffnet, also zum Museum gemacht wird. Dieser ständige Aufwand ist aber angesichts der geringen Bedeutung des Bunkers und der beschränkten Aussagekraft der Bilder (alle übrigen in dem Bunker gesicherten Funde sind ohne besonderes Gewicht) nicht zu rechtfertigen.“
Auch dem Bunker der Neuen Reichskanzlei schrieb Rürup keine besondere Aussagekraft zu: „Die erhaltenen Räume (insgesamt 29) geben nichts mehr her; wenn überhaupt, müßte der Gesamtkomplex bewahrt werden, um dadurch eine gewisse Vorstellung von den Bunkeranlagen unter dem Reichskanzleikomplex zu vermitteln. Die Aussagekraft würde allerdings kaum darüber hinausgehen ... Der Erkenntniszuwachs wäre vergleichsweise gering, der Aufklärungseffekt hinsichtlich des NS-Regimes sehr niedrig anzusetzen.“ Ähnlich urteilte Rürup schließlich auch über die Reste des Innenhofes der Neuen Reichskanzlei: „Als Teil der Neuen Reichskanzlei ist dem Innenhof grundsätzlich eine gewisse historische Bedeutung zuzusprechen. Allerdings sind diese Überreste auf dem ansonsten abgeräumten Gelände fragmentarisch und zudem völlig isoliert. Sie sind nach meinem Eindruck nicht geeignet, eine Vorstellung von der Neuen Reichskanzlei, geschweige denn von der damit verbundenen Geschichte zu vermitteln.“
Abschließend weist der Senat in der Mitteilung angesichts der „äußerst angespannten Haushaltslage“ zudem darauf hin, daß eine Musealisierung der Anlagen auch mit erheblichen Folgekosten für Erhalt, Ausstattung und Personalausgaben verbunden wäre. Insgesamt hatte der Senat damit den Denkmalschutz-Befürwortern eine klare Absage erteilt, die in ihrem Kern darauf basierte, daß die Bunkeranlagen nicht repräsentativ für das Reichskanzlei-Gelände wären und darüber hinaus auch per se keine besondere historische Aussagekraft hätten. Ein Denkmalschutz würde nur Sinn ergeben, wenn man die Anlagen öffentlich zugänglich machen würde. Der damit verbundene Aufwand stünde aber in keinem Verhältnis zur geschichtlichen Bedeutung der Bauten.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ stand dieser Entscheidung kritisch gegenüber. In der Ausgabe vom 24.11.1994 hieß es dazu: „Würde ein erhaltener und zugänglicher Fahrerbunker tatsächlich auf unangemessene Art aufgewertet? Das Gegenteil ist der Fall. Wer ihn abreißt, baut am fiktiven, mythenträchtigen Führerbunker.“
Anfang 1996 mußte sich der Berliner Senat erneut zu diesem Thema äußern. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne hatte ihn im vorherigen Jahr aufgefordert, zur Einschätzung des aufgefundenen Restbestandes der Neuen Reichskanzlei Bericht zu erstatten. In der Drucksache 13/109 vom 11.01.1996 wurde die verbliebene Substanz beschrieben und darauf verwiesen, daß diese der geplanten Neubebauung des Geländes nicht im Wege stünde. Dazu am Ende der Mitteilung: „Sollten sich dennoch Kollisionen ergeben, hat die Ansiedlung der Ländervertretungen Vorrang; ihnen wird Baufreiheit gewährt.“
Interessant ist an der Mitteilung die Einschätzung der Bunker hinsichtlich des Denkmalschutzes:
„Über Zustand und Beschaffenheit der Reste des sog. Führerbunkers liegen keine gesicherten Kenntnisse vor, so daß über den möglichen Umfang des Schutzgutes keine Bewertungen zum jetzigen Zeitpunkt vorgenommen werden können. Gleiches gilt für den Bunker unter der ehemaligen Marmorgalerie entlang der Voßstraße [Anm. d. Verfassers: damit sind die Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei gemeint]. Der sog. Fahrerbunker ist dagegen hinlänglich dokumentiert. Die Unterlagen lassen die Vermutung zu, daß es sich bei ihm um eine denkmalwürdige Anlage handelt ... Die Bemalung der Wände im sog. Fahrerbunker ... gibt im Stil der Illustrationen der SS-Zeitschrift „Das schwarze Korps“ auf dem Höhepunkt des militärischen Erfolges im Zweiten Weltkrieg im Jahre 1940 ungeschminkt die überhebliche Ideologie des Herrenmenschentums und damit des Rassenwahns zu erkennen, wobei diese Ideologie im Hinblick auf die Bildinhalte ihre besondere Zuspitzung und eigene Sinnwidrigkeit in einem Bunker erhält.
Der Fahrerbunker ist wegen dieser die ausschließliche Schutzfunktion des Bauwerkes nahezu karikierenden Ausmalung Geschichtsdokument.“
Die Aussage, daß es über den „Führerbunker“ und die Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei keine gesicherten Kenntnisse gäbe, mutet sehr merkwürdig an und ist letzten Endes falsch. Waren die Zuständigen nicht korrekt informiert oder wollten sie nicht korrekt informiert sein? Wollte man so vielleicht Zeit gewinnen bzw. weitere Diskussionen verhindern? Zugleich wurde der Wert der Wandmalereien des „Fahrerbunkers“ hier höher eingestuft als in der vorangegangenen, oben zitierten, Drucksache 12/5026 zu diesem Thema. Trotzdem folgte in der Schlußfolgerung der Mitteilung eine klare Aussage zum Areal:
„Die Eigenart dieser möglicherweise denkmalwürdigen Anlage führt zu der Schlußfolgerung, daß unabhängig von der Denkmalwürdigkeit die Zugänglichkeit der vorhandenen Reste kein verfolgenswertes Ziel ist. Dies ist zum einen aus Art und Umfang der noch vorhandenen Reste, vor allem aber aus der Besonderheit der Gebäudeanlage abzuleiten. Sie verdient diese Ehre nicht.“
Abschließend wird, wie bereits erwähnt, darauf verwiesen, daß die neue Bebauung des Areals mit den Ländervertretungen Vorrang vor dem Erhalt der Bunker hat. Zugleich heißt es im vorletzten Absatz:
„Nach Einschätzung des Senats wird sich allerdings bei der weiteren Planung der Ländervertretungen herausstellen, daß auch im Sinne einer möglichst unkomplizierten Bauvorbereitung und -realisierungen es aufwendiger ist, die Reste zu entfernen als dies nicht zu tun. Aus denkmalpolitischer Sicht wird das Einverständnis erklärt, einfach auf den vorhandenen Resten die neuen Gebäude aufzubauen bzw. – was überwiegend der Fall ist – sie im nicht bebauten Bereich einfach unter der Erde zu belassen.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ faßte am 12.03.1996 die Geschichte der umstrittenen Bunker in dem Artikel „Die Last der Bunker am Brandenburger Tor“ und die politische Diskussion über ihr Schicksal noch einmal zusammen. Dabei wurde auch Jörg Haspel, der damalige Chef des Landesdenkmalamtes Berlin, umfangreich zitiert. Für Haspel, der sich für den Erhalt der Reichskanzlei-Bunker einsetzte, zeigte die Tatsache, daß Berlin wieder zur Hauptstadt bestimmt worden war, auch die Entschlossenheit der Bundesregierung, sich zur gesamten Geschichte Deutschlands zu bekennen und nicht das Erbe der NS-Diktatur zu leugnen. Haspel würde überlegen, die unterirdischen Räume erst einmal zu versiegeln und späteren Generationen die Entscheidung über ihr Schicksal zu überlassen. Denkbar wäre für ihn auch gewesen, die Anlagen inmitten der neuen Bebauung unter einem Glasboden sichtbar zu machen. Zugleich sollten die Anlagen laut Haspel aber nicht öffentlich zugänglich gemacht werden. Was die „Fahrerbunker“-Wandmalereien beträfe, so würden diese nicht in ein Museum verpflanzt werden. Denn sie würden dorthin gehören, wo sie entstanden wären; gerade in diesem Umfeld würden die Fresken ihre besondere Bedeutung als Beweisstück des SS-Ungeistes erlangen. Zur Frage des Denkmalschutzes sagte Haspel, ein entsprechendes Verfahren für die Bunker der Neuen Reichskanzlei würde erst erfolgen, wenn Klarheit über die endgültige denkmalpflegerische Gestaltung der Anlagen bestünde.
IX Noch ein Fund: Goebbels läßt grüßen
Im Jahre 1997 wurde in Berlin der „Speer-Bunker“ des Ministeriums für Bewaffnung und Munition gefunden und abgerissen. Im selben Jahr fand man auch die Reste des KZ-Außenlagers Lichterfelde-West. Schließlich wurde Anfang 1998 der private Bunker von Joseph Goebbels südlich des Brandenburger Tores freigelegt. Der Bunker erblickte ironischerweise bei der „Baufeldfreimachung“ des Holocaust-Mahnmals das Tageslicht und wurde schnell dem NS-Propagandaminister zugeordnet. Für die Massenblätter war dieser Fund natürlich ein interessantes Thema. So fragte die „BZ“ am 27.01.1998: „Was verbirgt sich im vergessenen Goebbels-Bunker?“ Der Text unter dieser Überschrift fing so an: „Zwischen Potsdamer Platz und Spreebogen wächst das Regierungsviertel. Hier nimmt die alte Hauptstadt neue Formen an. Aber unter der Erde pocht noch immer die dunkle Vergangenheit. Tief versteckt unter der Behrenstraße ruhen sie: die vergessenen, unheimlichen Bunker der Goebbels-Villa.“ Der Nationalsozialismus als Objekt düsterer Faszination – gleichwohl die Lage des Bunkers den Fachleuten übrigens schon bekannt war!
Daniel Libeskind, der Architekt des Jüdischen Museums, äußerte sich in der am folgenden Tag erscheinenden Ausgabe der „Berliner Zeitung“ zum Fund des Bunkers. Er sagte, das Bauwerk dürfe nicht zerstört werden: „Er ist ein Hinweis auf die Geschichte dieses Ortes, der integriert, nicht vernichtet werden sollte.“ Die Anlage dürfe kein Schrein für Rechtsradikale werden, sollte aber auch nicht versteckt werden. Libeskind schlug einen Einschnitt in den Untergrund vor, der an die „böse Vergangenheit“ des Areals erinnern würde. Der Sprecher des Kultursenators Radunski (CDU) sagte, ein Holocaust-Mahnmal über dem Bunker wäre „sehr passend, geradezu exemplarisch“. Bausenator Klemann (CDU) ließ den Bau des Mahnmals zunächst jedoch mit der Begründung einstellen, es müsse zuerst einmal ermittelt werden, welchen Wert die Anlage überhaupt hätte.
Es drängte sich also die Frage auf, ob bzw. in welcher Form der Fund des Bunkers den Bau des Holocaust-Mahnmals an der vorgesehenen Stelle beeinflussen oder gar verhindern würde. Der Senat und die Jüdische Gemeinde waren sich sehr schnell einig, daß das Holocaust-Mahnmal realisiert werden sollte. Der Gemeindevorsitzende Andreas Nachama wurde dazu im „Berliner Kurier“ vom 29.01.1998 mit einem trockenen Kommentar zitiert: „Es kommt immer etwas aus der Nazi-Zeit zum Vorschein.“ Der Bunker wäre kein Grund, auf das Mahnmal zu verzichten. Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sagte dazu im selben Artikel, selbst wenn der Bunker aus Denkmalschutzgründen erhalten bliebe, könne das Mahnmal darüber hinweg gebaut werden.
In den folgenden Tagen wurde das Thema in diversen Zeitungen diskutiert. Zum ersten Mal meldete sich dabei auch der neue Verein „Berliner Unterwelten“ zu Wort. Er äußerte die Befürchtung, daß die unterirdischen Bauwerke der früheren Ministergärten sowie die dort vorhandenen Reste der Hofpflasterung der Neuen Reichskanzlei unter Ausschluß der Öffentlichkeit abgerissen werden könnten. Diese Relikte wären aber Zeugnisse der Geschichte. Auch Alfred Kernd'l, der frühere Direktor des Archäologischen Landesamtes, äußerte sich wieder zum Thema. So sagte er im „Tagesspiegel“ vom 30.01.1998: „Wir enttrümmern authentische Denkmale und zerbrechen uns gleichzeitig die Köpfe um neue. Komisch.“
In weiteren Interviews und Kommentaren wiederholten Kernd'l und die „Berliner Unterwelten“ ihr Argument, daß ein Abriß des Bunkers eine Verdrängung der Geschichte und eine „Sterilisierung“ des Areals wäre. Dies wäre aber nicht zulässig, man könne der Geschichte nicht entkommen. Die Bunker sollten in die Neubebauung des Geländes bzw. in das zukünftige Gedenkstätten-Ensemble der „Topographie des Terrors“ und des Holocaust-Mahnmals eingefügt werden. Sie wären zwar in ihrer Bedeutung problematische „Orte der Täter“, müßten aber einfach nur entsprechend in den Gesamtkontext der Umgebung integriert werden. Durch angemessene Ausstellungskonzepte bzw. einen restriktiven Zugang wäre die Gefahr einer NS-Wallfahrtsstätte vermeidbar.
Die Gegner dieser Argumentation, darunter der Senat und die meisten sich äußernden Politiker, verwiesen auf die Gefahr der Entstehung einer NS-Wallfahrtsstätte und auf die mangelnde Aussagekraft der NS-Bunker. Und es wurde vor allem angeführt, daß die Bunker auf der Fläche bzw. im Umfeld des zukünftigen Holocaust-Mahnmals zu Problemen führen könnten. Deswegen sollte der Bunker dokumentiert und dann zugeschüttet werden. Der Landesarchäologe Wilfried Menghin wiederum wollte den Bunker nach Möglichkeit erhalten sehen, das Bauwerk müsse aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) entschied sodann, daß der Bunker verschüttet werden solle. Man wisse genug über die NS-Größen und eine Stadt könne nicht mit einem unantastbaren „Herz der Nazi-Maschinerie“ leben. In der „Frankfurter Rundschau“ vom 03.02.1998 wurde er folgendermaßen zitiert: „Das Mahnmal für die ermordeten Juden wird nicht an einem Bunker scheitern, in dem Goebbels zitterte.“
Angesichts der intensiven Debatte fragte der „Tagesspiegel“ am 30.03.1998 in einem mit „Neverending history“ betitelten Artikel: „Soll die halbe Hauptstadt – als schmucke Business Mall, als historisierende gute Stube – unter Glasschlitzen ihren Hades offenlegen? Neverending history: das „neue“ Berlin, bewußt unheimlich.“
X Rückkehr des „Führerbunkers“
Nach einer anderthalbjährigen Pause im Bereich der Bunkerfunde und der damit verbundenen Konflikte sollte im Oktober 1999 der Klassiker der unterirdischen NS-Architektur einen neuen großen Auftritt haben: der „Führerbunker“. Im Rahmen der Vorbereitungen für den Bau der Bundesländervertretungen im Areal der ehemaligen Ministergärten wurden bei der Suche nach alter Munition Teile der stark zerstörten Anlage freigelegt. Und fast sofort tauchten in dieser letzten großen Bunker-Debatte auch die wohlbekannten Argumente wieder auf:
* Alfred Kernd'l plädierte für einen Erhalt der Reste („Tagesspiegel“ 15.10.1999),
* Helmut Engel, der Leiter der obersten Berliner Denkmalbehörde: „Sand drüber und zuschütten.“ („Tagesspiegel“ 15.10.1999),
* Gabriele Camphausen von der „Topographie des Terrors“ wollte die Anlagen dokumentieren und zuschütten lassen. Die Bunker wären „nicht aussagekräftig genug“. („Tagesspiegel“ 16.10.1999),
* Andreas Nachama von der Jüdischen Gemeinde sprach von „archäologischer Umweltverschmutzung“ („Berliner Zeitung“ 19.10.1999),
* Lea Rosh, die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals, forderte eine Sprengung des Bunkers; es dürften aus den Betonplatten des Bunkers keine Reliquien gemacht werden („Tageszeitung“ 16.10.1999).
Der Landesentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) wies an, die Decke des Bunkers wieder zuzuschütten und mit den Bauarbeiten wie geplant fortzufahren. Er berief sich dabei auf die 1994 gefällte Entscheidung des Senats, daß die Bunkeranlagen in diesem Bereich nicht denkmalschutzwürdig wären.
Das Thema war immerhin so bedeutend, daß auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sich am 02.12. mit dem Artikel „Das Heim des Hundeführers“ des Themas annahm. Der Verfasser argumentierte mit Verweis auf die Ausgrabung der Stadtschloß-Keller am Schloßplatz und die „Topographie des Terrors“, daß eine Ausgrabung der NS-Bunker den auf knapp eine Million Mark geschätzten Aufwand wert wäre. Und er zitierte Horst Möller, den Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, nach dem das alte Reichskanzlei-Gelände ein „Machtzentrum mit sehr hohem politischen Symbolwert für die Führerdiktatur“ wäre. Im Zusammenhang mit der Wallfahrtsort-Gefahr würde die historische Berchtesgaden-Ausstellung des Münchener Instituts zeigen, wie man solche Orte nüchtern und verständlich zeigen könne.
Am selben Tag erschien in der „Süddeutsche Zeitung“ zudem ein Artikel des Historikers Goldhagen, dessen 1996 herausgegebenes Werk „Hitlers willige Helfer“ für große Aufregung gesorgt hatte. Goldhagens Essay „Das Zentrum des Bösen“ war ein emotionales Plädoyer, das zugleich von mangelnder Sachkenntnis zeugte. So fing der Text z.B. mit folgendem Satz an: „Der Bunker Adolf Hitlers wurde gefunden.“ Das stimmt natürlich nicht wirklich – die Lage von Hitlers Bunker war der Öffentlichkeit längst bekannt und man kann eigentlich nur Dinge finden, die man verloren hat oder deren Existenz einem unbekannt ist. Goldhagen plädierte jedenfalls dafür, den Bunker symbolisch als Weltgedenkstätte unter eine Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu stellen: „Nicht deshalb, weil man Deutschland keinen verantwortlichen und angemessenen Umgang mit dem Bunker zutraut – natürlich würde Deutschland das –, sondern weil Hitler ein Weltzerstörer war.“ Der Bunker müsse unbedingt erhalten bleiben. Als historische Stätten des Horrors und der Schande könnten solche Orte, wenn man richtig mit ihnen umgeht, als Orte der Warnung, der Reflexion und des Lernens dienen. Der Bunker solle somit der Öffentlichkeit als Symbol des Bösen zugänglich gemacht werden – des bösen Hitlers und der Millionen, die ihm folgten.
Zur Gefahr der Entstehung einer NS-Wallfahrtsstätte schrieb Goldhagen: „Dann sollen sie dort informiert werden, sollen sofort mit den grauenhaften Fakten konfrontiert werden, so daß niemand mit guten Absichten den Bunker mit dem falschen Eindruck verläßt. Und eine Gedenktafel könnte dort hängen, auf der die Zahl der Menschen und die Gemeinschaften verzeichnet sind, deren Tod Hitler verantwortete – einschließlich seiner Bemerkung über die Vernichtung der Deutschen.“ In diesem Kontext endet der Artikel dann folgendermaßen: „Wenn Neo-Nazis einen solchen Bunker als Versammlungsort nutzen wollen, dann sollen Deutsche (und Europäer) dieses heutige Böse sehen, sollen entsetzt sein, es bekämpfen und besiegen – mit jener Unbeirrbarkeit, die es nicht gab vor sechzig Jahren. In gefestigten Demokratien löscht man Symbole des Hasses nicht aus. Man stellt sich solidarisch neben jene, die gehaßt werden, und gegen jene, die hassen.“
So eindringlich und ansprechend dieser Aufsatz auch sein mag: Goldhagen war sich offenbar nicht der Tatsache bewußt, daß dieser mehrfach gesprengte bzw. „enttrümmerte“ Bunker kaum noch zugänglich war. Auch in der Redaktion der „Süddeutsche Zeitung“ wußte man es nicht besser. In gewisser Hinsicht waren diese Mängel symptomatisch für einen Teil der um die NS-Bunker geführten Diskussion.
„Der Spiegel“ behandelte das Thema in der Ausgabe 46/1999 unter der Überschrift „UNESCO-Schutz für Hitlers Bunker?“ auf fast drei Seiten. In dem Text wurde kritisiert, daß der Berliner Senat danach streben würde, das Thema mit der Zuschüttung des Bunkers vorschnell zu beenden. Laut Senator Strieder hätte man den Bunker bereits 1990 und 1993 vermessen und dokumentiert – was aber im Widerspruch zu einer Erklärung des Senats aus dem Januar 1996 stünde, in der es hieß, daß „keine gesicherten Erkenntnisse“ vorlägen (Drucksache 13/109, siehe oben).
Die Diskussion um den „Führerbunker“ hatte damit erst einmal ihr Ende erreicht. Der Bunker wurde wieder zugeschüttet und liegt seitdem unscheinbar an einem staubigen Parkplatz hinter den DDR-Plattenbauten an der Wilhelmstraße. Das Thema sollte 2004 im Zusammenhang mit dem Film „Der Untergang“ noch einmal in den Medien auftauchen. So befaßte sich „Die Zeit“ vom 16.09.2004 in einer typischen „Vor-Ort-Reportage“ mit dem Thema. Dabei wurde auch der Massentourismus dargestellt, der sich auf dem Areal entwickelt hatte. Und „Der Spiegel“ berichtete in der Ausgabe 35/2004 auf ganzen 14 Seiten vom „Bunker des Bösen“! Im Jahre 2006 wurde schließlich vor Ort eine Gedenktafel aufgestellt, die über die Vergangenheit des Areals informiert. Zugleich zieht das Gelände heutzutage oft ein zweifelhaftes Publikum an. Mehr dazu später.
XI Bunker ohne Ende?
Am 14.05.2000 berichtete der „Tagesspiegel“ unter der Überschrift „Bombenstimmung im Luxusbunker“ von dem bereits erwähnten Luftschutzbunker des „Adlon“-Hotels. Leicht melancholisch-resigniert fing der Artikel folgendermaßen an: „Wieder einmal ist ein Weg in die Berliner Unterwelt ans Tageslicht gekommen, wieder herrscht Ratlosigkeit: Beim Ausschachten des Geländes zum Neuaufbau der Akademie der Künste am Pariser Platz wurde ein Eingang in den Diplomaten- oder Adlon-Bunker freigelegt.“ Der Artikel befaßte sich u.a. mit der Frage, wie mit diesem Bunker zu verfahren wäre. Fazit: Es gäbe verschiedene Möglichkeiten, keine wäre aber wirklich praktikabel bzw. angemessen.
Der Verfasser führte eine Reihe verschiedener Verwendungsmöglichkeiten für den Bunker an: „Als Ort für Ausstellungen zum Kriegsende und über den Wiederaufbau Berlins, über Diplomaten in der deutschen Hauptstadt, über das Hotel Adlon und seine Gäste oder einfach darüber, wie unsere Mütter und Großmütter mit uns Jöhren im Schlepptau unterirdisch den Krieg und die Bomben überlebten. Die Akademie, einmal am Bauen, könnte hier ihr Archiv einrichten. Oder das Hotel Adlon – die spontane Idee kommt vom Direktor van Daalen – seinen Weinkeller. Aber gar nichts zu tun, ist zu wenig.“ Nun, die Variante „gar nichts zu tun“ hat sich in diesem Fall erfolgreich durchgesetzt.
Für die Medien erwies sich die NS-Bunker-Thematik weiterhin als dankbares Thema. Zu den Klassikern dieser Berichterstattung gehört ein in der „BZ“ am 08.11.2004 erschienener Artikel mit dem Titel „BZ öffnet die Tür zum Bunker der Verzweifelten“. Damit war ein Bunker unter dem Alexanderplatz gemeint, der nun angeblich zum ersten Mal für Führungen geöffnet wurde (obwohl vorher schon seit Jahren öffentliche Führungen durch diesen Bunker stattgefunden hatten). Der Anfang des kurzen – mit Fehlern gespickten – Artikels sprach bereits für sich: „Sirenen heulen. Stahltüren werden aufgerissen. Mütter mit weinenden Kindern, alte Menschen rennen die Treppen zum Bunker hinab. 30 Meter unter der Erde blicken 6.000 Berliner ängstlich zur Decke – Bombenalarm!“ Der Bunker wurde hier als großes atemberaubendes Kriegsdrama dargestellt.
Was wiederum in den Medien so gut wie gar nicht auftauchte, war die Tatsache, daß im Jahre 2006 der „Fahrerbunker“ und der Bunker von Joseph Goebbels vom Berliner Landesdenkmalamt unter Schutz gestellt wurden! Nach den erbitterten Diskussionen der neunziger Jahre schien das Thema die Öffentlichkeit offenbar nicht mehr zu interessieren. Auch die langen Diskussionen mit den Grundstückseigentümern und der zuständigen Senatsverwaltung, die dieser Unterschutzstellung vorangegangen waren, hatten kein Echo in der Presse gefunden. Allerdings muß in diesem Zusammenhang auch eingeräumt werden, daß die Beteiligten nach den Erfahrungen, die man mit Alfred Kernd'ls Denkmalschutz-Initiative gemacht hatte, sicher auch bemüht waren, ein diskretes Einvernehmen „hinter den Kulissen“ zu erzielen.
Die Bunkeranlagen unter dem Alexanderplatz sollten die bislang letzte NS-Überraschung aus dem Untergrund Berlins sein – und zwar für jene Bauherren, die dort 2007 im Rahmen des Kollhoffschen Masterplans zu graben anfingen und offenbar nicht genau wußten, was sich wo unter der Oberfläche des Areals verbarg. Ähnliches Pech hatten übrigens nur einen Steinwurf entfernt die Investoren, die eine riesige Tiefgarage errichten wollten. Auch sie hatten nicht gründlich genug recherchiert und stießen auf einen großen neuzeitlichen Friedhof, der ihnen einen längeren Baustop bescherte. Nicht alle unangenehmen Entdeckungen im Berliner Untergrund müssen also mit dem Nationalsozialismus zu tun haben!
XII Schlußfolgerungen
In den späten sechziger und in den siebziger Jahren tauchte in der Berichterstattung über die aufgefundenen unterirdischen Reste des Nationalsozialismus noch keine tiefe historisch-politische Reflektion auf. Es wurde mit einem leichten Gruselschauer über diese Anlagen berichtet, ohne auf den historischen Kontext einzugehen oder zu erwägen, wie mit der Vergangenheit dieser Anlagen umzugehen wäre. Dies änderte sich erst in den achtziger Jahren, als die Öffentlichkeit, vor allem durch die Tätigkeit von Bürgerinitiativen, auf Orte mit verdrängter NS-Vergangenheit hingewiesen wurde. Das wichtigste Beispiel ist die „Topographie des Terrors“, die ohne die Initiative engagierter Bürger nie zustande gekommen wäre.
Erst die neunziger Jahre sollten zu einer fundierten Diskussion führen – was sich angesichts der spektakulären Funde im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz auch kaum vermeiden ließ. Dabei fragte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 03.02.1998 zu Recht, ob man generell nicht gewußt hätte, was sich unter den betroffenen Flächen alles befand. Vielleicht handelt es sich hier tatsachlich um ein Verdrängen des Nationalsozialismus, um ein „Vergessen“ des Niemandslandes der DDR-Grenze; vielleicht liegt es daran, daß man zu jener Zeit noch nicht über die heutigen Internet-Ressourcen verfügte, um schnell etwas zu „googlen“. Andererseits erschien z.B. bereits 1978 in der ostdeutschen Reihe „illustrierte historische hefte“ eine Schrift namens „Das Ende der Reichskanzlei“, in der auf einer Karte annähernd korrekt die Bunkeranlagen auf dem Areal der Neuen Reichskanzlei verzeichnet waren. Fairerweise muß man zugleich einräumen, daß die Sowjets und die DDR-Behörden den Zugang zu diesen Anlagen und die über sie vorhandenen Dokumente rigoros kontrollierten. Man wußte also, was einst von den Nazis gebaut wurde – aber nicht, was davon nach dem Krieg abgerissen wurde und wie eventuelle Überreste aussähen. Die erwähnten, aufschlußreichen „UTA“-Akten der Staatssicherheit wurden erst 1997 aufgefunden und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Wie dem auch sei: Das wiedervereinigte Berlin wurde plötzlich von unerwartet auftauchenden Resten seiner dunkelsten Phase hochgeschreckt – als würde die neue Republik nun wieder von den Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht. Sehr treffend verwies die „Frankfurter Rundschau“ im Zusammenhang mit den aufgefundenen Bunkern am 29.08.1992 darauf, daß es nun mit der Bonner Beschaulichkeit vorbei wäre! Im Deutschland der Nachwendezeit wurden die alten, von Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation geprägten Identitäten plötzlich grundsätzlich in Frage gestellt. Niemand wußte, wie „die Deutschen“ sich zukünftig definieren würden. In einer vom Kalten Krieg zerrissenen Stadt wie Berlin war zugleich klar, daß die Zukunft große Chancen für einen Neuanfang versprach. Und plötzlich tauchten genau an der symbolträchtigen Nahtstelle zwischen den beiden Stadthälften, da, wo Berlin ein neues „gemeinsames“ Zentrum bekommen sollte, vergessene Reste einer grausamen Vergangenheit auf, als sollten West- und Ostdeutsche an ihre gemeinsame, schreckliche historische Hypothek erinnert werden, als könnte es sich um ein verhängnisvolles Omen handeln. Die „Leiche im Keller“ brach aus und stakste wie ein Pesthauch verströmender Zombie durch das neue Berlin!
Angesichts der Tatsache, daß damals viele Menschen in Deutschland ein „Viertes Reich“ mit einem neuen, aggressiven Nationalismus befürchteten, überrascht es nicht, daß die Diskussion mit solch einer Vehemenz geführt wurde. Dabei spielte auch das explosionsartige Aufflackern rechtsradikaler Gewalt in der ehemaligen DDR eine große Rolle. Die damaligen schweren Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock und die unzähligen Fälle alltäglicher Gewalt gegen Ausländer und Andersdenkende in zahllosen ostdeutschen Städten und Dörfern schockierten die Öffentlichkeit. In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung war schlichtweg nicht erkennbar, welchen Kurs das „neue Deutschland“ langfristig einschlagen würde.
Darüber hinaus darf man nicht vergessen, daß in den neunziger Jahren sehr viele DDR-Denkmäler abgerissen wurden. Und zu Recht mag sich da vielen Bürgern die Frage gestellt haben, warum das Lenin-Denkmal oder der Palast der Republik weichen mußten bzw. sollten, während zugleich ein Denkmalschutz für NS-Bunker initiiert wurde. Außerdem gab es zu dieser Zeit noch kein Holocaust-Mahnmal. Somit war damals in der „Denkmal-Landschaft“ durchaus eine Schieflage vorhanden, die vielen Zeitgenossen problematisch erschienen sein muß.
Die Debatten, die in den neunziger Jahren um die Bunker geführt wurden, können heutzutage als historische Zeugnisse betrachtet werden, die von den damaligen Ängsten und Befindlichkeiten hinsichtlich des Umganges mit dem Nationalsozialismus kunden. Bei den Diskussionen waren keine klaren parteipolitischen Fronten und keine eindeutig definierbaren ideologischen Positionen erkennbar. Gestritten wurde primär über die Wirkung, die diese NS-Bauten haben könnten. Um es stark vereinfacht auf die Grundpositionen zu verkürzen: Für die eine Seite waren diese Bauten immer noch so „gefährlich“, daß sie verschwinden mußten, weil ansonsten alte oder neue Nazis bzw. „Gruseltouristen“ sich an diesen Resten ergötzen könnten. Für die andere Seite wiederum hatten die Bunker eine genau entgegengesetzte potentielle Wirkung – nämlich eine vom Nationalsozialismus abschreckende. Darüber hinaus ging es um einen zweiten zentralen Fragenkomplex: Waren die Bunker so aussagekräftig bzw. repräsentativ für den Nationalsozialismus, daß sie erhalten oder gar unter Denkmalschutz gestellt werden sollten? Wofür standen sie, was stellten sie dar?
Sowohl die Konservativen als auch die Linken zeigten sich durch die Bunkerfunde letzten Endes gleichermaßen verstört: Die Konservativen hatten zunächst einmal mit dem Zusammenbruch der DDR und der folgenden Wiedervereinigung einen großen Triumph errungen. Nun wurden sie plötzlich im Zentrum der alten bzw. neuen Hauptstadt an die mörderische Vergangenheit ihrer Nation erinnert. Die Linken wiederum hatten NS-Gedenkstätten immer als „Orte der Opfer“ verstanden. Nun standen sie plötzlich vor den „Orten der Täter“ und vermochten damit nicht umzugehen.
Der Verfasser will sich an dieser Stelle ein vorsichtiges Urteil erlauben: Wahrscheinlich wäre es keine gute Idee gewesen, die NS-Bunker zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Natürlich sind es die letzten Reste des historischen Reichskanzlei-Areals. Aber es sind zugleich nur Bruchstücke, die selbst als Ausgangspunkte für eine öffentliche Darstellung und Erklärung des Geländes nicht brauchbar sind. Denn sie kunden nur von einem winzigen Ausschnitt der Geschichte des Geländes und sind nicht repräsentativ. Auch für eine nur auf den Nationalsozialismus bezogene Auseinandersetzung mit Geschichte kann man sie nicht verwenden. Sie sind Orte der Täter und sprechen, z.B. im Gegensatz zur „Topographie des Terrors“, nicht für sich. Und man sollte auch nicht behaupten, daß es sich um ganz normale historische Architektur bzw. archäologische Relikte handelt, die einen ganz normalen Denkmalschutz verdienen und nicht das Opfer einer „political correctness“ werden sollten (wie Kernd'l argumentierte). Es handelt sich hier keinesfalls um „normale“ historische Architektur, sondern um eine Art „Sondermüll“ im Untergrund. Der von den umstrittenen Bunkern ausgehende Erkenntnisgewinn ist letzten Endes sehr gering. Es kommt hinzu, daß NS-Bunker oft ein bestimmtes Publikum anziehen, das nicht unbedingt an der Aufarbeitung der Vergangenheit orientiert ist, sondern eben eher unter der Rubrik „Gruseltourismus“ läuft. Die in Berchtesgaden, am „Westwall“ und anderswo gemachten Erfahrungen sprechen dabei für sich. Auch kritische Dokumentationen innerhalb der Bunker können das Problem nicht wirklich lösen. Insofern ist es wahrscheinlich angemessen, die Bunker verschlossen zu lassen. Ob man sie eines Tages abreißen sollte – dazu soll hier nicht Stellung genommen werden.
Ob man derartige Diskussionen heutzutage in einer weniger polemischen Form führen würde, könnte sich spätestens beim nächsten „großen Fund“ zeigen. Die Tatsache, daß die Medien 2006 auf die Unterschutzstellung des „Fahrerbunkers“ und des Bunkers von Joseph Goebbels kaum reagierten, deutet darauf hin, daß es wahrscheinlich nur eine begrenzte öffentliche Resonanz geben wird. Bald zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung scheint Deutschland ein gefestigter, demokratischer Staat zu sein, dessen Hauptstadt sich wohl durch alte NS-Bunker nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen läßt. „Im Angebot“ sind jedenfalls noch der Bunker Görings in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses oder der Rohbau der „Wehrtechnischen Fakultät“ unter dem Teufelsberg. Darüber hinaus birgt der Berliner Untergrund wahrscheinlich keine großen NS-Geheimnisse mehr. Als „Dauerbrenner“ und bleibende Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg werden aber immer noch regelmäßig alte Bomben, Granaten und sonstige Munitionsreste im Erdreich der Stadt gefunden. Nördlich Berlins, im schwer bombardierten Oranienburg, müssen sogar Teile der Stadt immer wieder nach „Blindgängerfunden“ abgesperrt werden. Irgendwann wird auch eine Berliner Zeitung mal wieder darüber berichten, daß der rote Marmor der U-Bahnstation Mohrenstraße aus der Neuen Reichskanzlei stammt – obwohl zahlreiche Bücher bereits darauf verwiesen haben.
Der „Fahrerbunker“, der „Führerbunker“, der Bunker Joseph Goebbels‘ und die verbliebenen Bunkerreste der Neuen Reichskanzlei „schlummern“ nun friedlich im Berliner Untergrund. Der Goebbels-Bunker ist überbaut worden und liegt jetzt unter den Stelen des nordöstlichen Bereiches des Holocaust-Mahnmals. Politisch sind diese Anlagen kein Thema mehr, sie werden weitgehendst ignoriert – als würde man sie ganz einfach nicht mehr wahrnehmen.
Gleichzeitig hat aber die Öffentlichkeit ein großes Interesse an diesen Anlagen entwickelt: Zahlreiche „Bunkerbücher“ sind erschienen, die sich vor allem mit dem „Führerbunker“ beschäftigen. Auf dem Gelände, unter dem sich die Reste dieser Anlage befinden, sind immer viele Touristen anzutreffen – der Bunker ist „big business“! Eine am 27.09.2008 durchgeführte Zählung ergab, daß an diesem Samstag zwischen 12:20 und 13:20 ganze zehn Gruppen mit Stadtführern dort auftauchten – bei einer Gruppenstärke von zwei bis etwa 30 Personen, mit durchschnittlich etwa 15 Menschen. Bis zu vier Gruppen tummelten sich gleichzeitig auf dem Gelände! Darüber hinaus fanden sich dort etwa 25 Touristen ohne Stadtführer ein. Die Inhalte, die bei derartigen Führungen vermittelt werden, sind oft falsch und sensationalistisch. Hier kann man wieder vom „Gruseltourismus“ sprechen, der eine fundierte – in den zeithistorischen Kontext eingeordnete – Auseinandersetzung mit der Geschichte vermissen läßt. Und genau diese Defizite sind symptomatisch für das Phänomen, das heutzutage wahrscheinlich das größte politische Problem im Zusammenhang mit NS-Festungsbauten darstellt: der sich ausbreitende Bunker-Tourismus.
Seit den neunziger Jahren werden an immer mehr Orten in der Bundesrepublik Führungen durch Bunker des Nationalsozialismus – aber auch durch entsprechende DDR-Anlagen – angeboten. Prinzipiell gibt es zwei Gründe für dieses Phänomen: Erstens sind seit dem Ende des Kalten Krieges viele Bunkeranlagen zugänglich geworden, die man vorher noch militärisch bzw. für den Zivilschutz verwendet hatte. Zweitens hat sich eine neue Generation jener NS-Luftschutzbunker „bemächtigt“, die für die Älteren noch ein Tabu darstellten, da sie an die Bombenangriffe erinnerten, die man in diesen Bunkern einst miterlebt hatte. Die meisten Bunkerführungen werden dabei von Vereinen organisiert, die jenseits der staatlichen Gedenkstätten bzw. des offiziellen Denkmalschutzes arbeiten und für einen angemessenen Umgang mit Bauten des Nationalsozialismus oft nicht qualifiziert sind. Dieses Defizit manifestiert sich bei den entsprechenden Ausstellungen und Führungen: Die Referenten sind von „ihren“ Bunkern oft restlos begeistert und lassen überhaupt keine kritische Distanz erkennen. Deswegen weisen die Führungen oft militaristische Züge auf und es kommt immer wieder zu „Ausrutschern“ – wenn zum Beispiel auf „große Leistungen im Bunkerbau“ verwiesen wird und die Referenten dabei „vergessen“, daß diese nur durch den massenhaften Einsatz von Zwangsarbeitern zustande kamen.
Ein viel größeres, grundsätzliches Problem ist aber eine mangelnde bzw. gar nicht vorhandene historische Kausalität, vor allem bei Führungen durch NS-Luftschutzbunker: Die Referenten schildern plastisch und ausführlich die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung während der Bombenangriffe, verweisen dabei aber nicht darauf, daß der Krieg und die Luftangriffe auf Zivilisten von deutschem Boden ausgingen und bereits während des spanischen Bürgerkrieges erprobt worden waren. So erscheinen plötzlich die Deutschen als Opfer des Zweiten Weltkrieges, was eine haarsträubende Verdrehung der Geschichte darstellt.
Bedauerlicherweise hat die Politik die Problematik des Bunker-Tourismus noch nicht erkannt. Auch die Fachwelt hat in diesem Zusammenhang lange eine erstaunliche Blindheit gezeigt. Ein erster, ermutigender Schritt war die „Westwall-Konferenz“, die 2007 in Bonn stattfand und das Problem zum ersten Mal beleuchtete. Der dazu verfaßte Sammelband „Zukunftsprojekt Westwall“, 2008 erschienen, zeigt anhand dieser Befestigungslinie exemplarisch die Problematik des Bunker-Tourismus auf.
Daß den Bunkern in den Medien so viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, ist auch insofern bedauerlich, als daß in den letzten Jahren wesentlich aussagekräftigere Dokumente zum Thema Nationalsozialismus im Berliner Untergrund aufgetaucht sind: So hat zum Beispiel die so genannte „KZ-Archäologie“ seit den neunziger Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen und wertvolle Erkenntnisse geliefert. Zugleich ist die Geschichte der „wilden Konzentrationslager“ der Nazis, die unmittelbar nach der Machtergreifung in vielen Berliner Kellern eingerichtet wurden, nach langer Verdrängung wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt – zum Beispiel durch Gedenkveranstaltungen im ehemaligen SA-Gefängnis in der Papestraße. Darüber hinaus wird seit wenigen Jahren auch die Geschichte der „GPU-Keller“, sowjetischer Untersuchungsgefängnisse der frühen Nachkriegszeit, erforscht und politisch thematisiert. Es wäre schön, wenn diesen unterirdischen Relikten der Geschichte mehr Aufmerksamkeit zukäme!
2010
Niko Rollmann