Die Stadt Stettin (Szczecin) liegt im Nordwestens Polens und ist von Berlin aus mit dem Zug in etwa...
Der Umgang mit NS-Bunkern sorgte in Berlin immer wieder für politischen Zündstoff.
„Beim ersten Eindringen in das Getto gelang es den Juden und den polnischen Banditen, durch einen vorbereiteten Feuerüberfall die angesetzten Kräfte einschließlich Panzer- und Schützenpanzerwagen zurückzuschlagen.“
(SS-Führer Jürgen Stroop im „Stroop-Report“)
Vor 65 Jahren fand in diesem Monat ein Ereignis statt, das zu den erschütterndsten Episoden des Zweiten Weltkrieges gehört: der Aufstand im Warschauer Getto. Die Rebellion began am 19. April 1943, als die Nazis das Getto endgültig „liquidieren“ wollten. Die jüdischen Widerstandskämpfer wussten von Anfang an, dass sie keine Chance hatten. Sie waren nur 220 ausgemergelte Gestalten, die noch nicht einmal anständig bewaffnet waren. Ihr „Arsenal“ umfasste lediglich ein paar Handfeuerwaffen – die man ins Getto geschmuggelt oder deutschen Soldaten auf dem Schwarzmarkt abgekauft hatte – und eigens produzierte Granaten und Brandbomben. Im gesamten Getto gab es am Anfang des Aufstandes nur eine einzige Maschinenpistole, ganz zu schweigen von schweren Waffen oder gar Artillerie. Auf der anderen Seite wiederum standen 3 000 gut ausgebildete SS-Männer bzw. osteuropäische Hilfstruppen mit Panzern, Artillerie und Luftunterstützung. Und trotzdem kämpften die Aufständischen gegen diese erdrückende Übermacht an, kämpften um ihr Leben und um ihre Würde.
Bereits im Januar 1943 hatte es vier Tage lang bewaffneten Widerstand gegen die Nazis gegeben, die die letzten 60 000 überlebenden Bewohner des Gettos in die Vernichtungslager transportieren wollten (insgesamt etwa 500 000 Menschen waren seit 1940 unter katastrophalen Umständen in das Getto gepfercht worden). Die Nazis zogen sich daraufhin zurück. Die „Aktion“ im April sollte das Getto nun im zweiten Anlauf vernichten. Unglaublicherweise dauerte der ungleiche Kampf fast einen Monat – eine böse Überraschung für den zuständigen SS-Führer Jürgen Stroop, der glaubte, das Getto innerhalb von ein oder zwei Tagen leeren zu können (wahrscheinlich wollte Stroop seine Aufgabe rechtzeitig für Hitlers Geburtstag am 20. April beendet haben).
Die Aufständischen hatten bereits seit 1942 in der Kanalisation und in den Kellern unterhalb des Gettos ein System von Bunkern, Verbindungswegen und Depots aufgebaut. Die Nazis hatten davon nichts bemerkt. Und sie trauten sich während der Kämpfe kaum in dieses System hinein. Stattdessen benutzten sie Flammenwerfer und Giftgas, um die Aufständischen zu töten. Und sie riegelten die Kanalisation mit Sperren ab, verschütteten die Ausgänge und versperrten die Kanaldeckel. Das Getto wurde Block für Block niedergebrannt. In ihrer Verzweiflung sprangen oft Menschen aus den Fenstern der brennenden Häuser.
Die Gefechte dauerten bis zum 16. Mai, etwa 7000 Juden starben dabei. Viele Kämpfer verübten kollektiven Selbstmord, um den Deutschen und ihren Hilfstruppen nicht in die Hände zu fallen. Dann wurde das Getto endgültig dem Boden gleichgemacht. Die Anzahl der deutschen Verluste ist nicht genau bekannt. Etwa bis Mitte Juli gab es übrigens noch einzelne Angriffe versprengter Kämpfer auf deutsche Truppen.
Die überlebenden Aufständischen flüchteten durch die Kanalisation aus dem Getto heraus. Unter ihnen befand sich auch Marek Edelmann, der der letzte überlebende Kampfgruppen-Kommandeur der Aufständischen ist. Während der Kämpfe war Edelmann 22 Jahre alt. Er betont, dass er und seine Mitkämpfer keine Helden waren, denn es wäre leichter gewesen, im Kampf zu sterben als unbewaffnet in die Gaskammer zu gehen. Bereits 1945 schrieb Edelmann seinen berühmten, dramatischen Bericht über den Aufstand, der in deutscher Sprache erst in den neunziger Jahren unter dem Titel „Das Ghetto kämpft“ mit einem Vorwort Ingrid Strobl erschienen ist. In ihrem Werk „Sag nie, du gehst den letzten Weg“ betont Strobl die besondere Rolle, die Frauen während der Kämpfe spielten. Für die Nazis muss es ein Schock gewesen sein, Frauen mit einer Waffe in der Hand zu sehen.
Zu den düsteren Kapiteln des Aufstandes gehört die Tatsache, dass die anderen, nichtjüdischen polnischen Widerstandsgruppen den Kämpfern im Getto nur wenig Unterstützung zukommen ließen. Als Grund dafür wird oft angeführt, dass es in großen Teilen der polnischen Bevölkerung ausgeprägte antisemitische Einstellungen gab – auch unter denen, die gegen die Nazis kämpften. In den fünfziger Jahren gab es in Polen mehrfach schwere antisemitische Ausschreitungen.
Im Sommer 1944 gab es einen zweiten Aufstand gegen die Nazis in Warschau. Dieses Mal waren es die nichtjüdischen Polen, die sich erhoben. Diese Kämpfer nutzten die Kanalisation ebenfalls als Fluchtweg. Unter ihnen befanden sich auch Überlebende des ersten Aufstandes – wie zum Beispiel Marek Edelmann. 63 Tage lang dauerte es, bis die Nazis die Erhebung niedergeschlagen hatten. 170 000 Polen starben dabei, 80 000 weitere wurden in Konzentrationslager bzw. als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt.
Versuche der britischen Luftwaffe, die Rebellen mit Waffen und Munition zu versorgen, scheiterten größtenteils. Und die sowjetischen Truppen, die kurz vor Warschau lagen, warteten am anderen Ufer der Weichsel, bis die Nazis ihre Arbeit „vollendet“ hatten. Denn Stalin war ein einer selbstbewussten polnischen Volksbewegung nicht interessiert. Für ihn war längst klar, dass Polen in Zukunft Teil des sowjetischen Herrschaftsbereiches sein würde. Der zweite Warschauer Aufstand gehört aber trotz seines Scheiterns zu den zentralen Bezugspunkten der nationalen polnischen Identität.
Für die verfolgten Juden wiederum war der Aufstand im Warschauer Getto von besonderer symbolischer Bedeutung: Zum ersten Mal hatten sie, verfolgte Zivilisten, den deutschen Besatzungstruppen eine große, offene Schlacht geliefert. Sie hielten lange aus und fügten ihren Gegnern unerwartet hohe Verluste zu. Und zumindest einige konnten ihr Leben retten. Darüber hinaus wird der Geist dieser Rebellion auch den jungen Staat Israel, der anfangs ja um sein Überleben kämpfen musste, motiviert haben, sich gegen die Angriffe der benachbarten Staaten zu wehren.
Auf die Nazis machten die beiden Warschauer Aufstände großen Eindruck, sie hatten nicht mit organisiertem Widerstand gerechnet. Wie einem internen Briefwechsel aus den Beständen der Birthler-Behörde zu entnehmen ist, fürchteten sie, dass es in Prag, wo es ebenfalls größere unterirdische Areale gibt, auch eine Rebellion unter Nutzung der Kanalisation und alter Gewölbe geben könnte.
SS-Führer Jürgen Stroop schrieb nach der Vernichtung des Gettos einen triumphierenden Bericht über die Niederschlagung des Aufstandes (der berüchtigte „Stroop-Bericht“). Hier findet sich neben entsetzlichen Photos der Kämpfe auch der Satz: „Nur durch den ununterbrochenen und unermüdlichen Einsatz sämtlicher Kräfte ist es gelungen, insgesamt 56.065 Juden zu erfassen bzw. nachweislich zu vernichten.“ Und: „Alles, was an Gebäuden und sonst noch vorhanden war, ist vernichtet.“ Jürgen Stroop wurde nach dem Krieg für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen: Er wurde von den Amerikanern verhaftet und schließlich an Polen ausgeliefert. 1952 starb er in Warschau durch den Strang. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen verzweifelten, heroischen Kampf mit großer Signalwirkung ... und die Reste der Kämpfer, die heutzutage noch in den Trümmern unterhalb eines neu gebauten Stadtteils liegen. Ein kleines Denkmal und der „Platz der Gettohelden“ erinnern an sie.
April 2008